<i>Experten: Bedarf an Büro- und Handelsflächen sinkt
<i>Experten: Bedarf an Büro- und Handelsflächen sinkt

Experten: Bedarf an Büro- und Handelsflächen sinkt

 
Der Umsatz mit Vermietung und Verkauf von Büroflächen ist laut den Immobilienberatern von Colliers International Stuttgart im ersten Halbjahr im Südwesten um 21 Prozent eingebrochen, Bundesweit sogar um 36 Prozent, wie der Immobiliendienstleister Jones Lang LaSalle ermittelte.

Doch das sorgt Experten wie Frank Leukhardt kaum. „Der Bedarf an Büros wird anhalten“, glaubt der Geschäftsführer von Colliers International Stuttgart. Im Vergleich zu vorigen Krisen hätten die Büromärkte im Land durch Rekordmieten, historisch niedrige Leerstandsquoten und hohe Quoten bei der Vorvermietung von geplanten Projekten eine sehr gute Ausgangslage.

Der Immobiliendienstleister hatte im Mai untersucht, wie sich die Corona-Krise auf die Top-7-Büromärkte in Deutschland, darunter Stuttgart, auswirken könnte. Danach sei durchaus mit einem Anstieg des Leerstands zu rechnen. Das wirke sich allerdings stabilisierend auf die Mieten aus. Der steile Anstieg der Preise werde gebremst.

Forscher: Homeoffice reduziert Bedarf an Büroflächen

Verändern könnte sich der Büromarkt dennoch. Während der Corona-Hochphase im März arbeitete jeder zweite Beschäftigte zumindest teilweise von zu Hause aus, wie eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom zeigt. „Die Corona-Krise hat zu einem nie dagewesenen Feldversuch mit Blick auf Büroarbeitsplätze geführt“, sagt Steffen Szeidl, Vorstand beim Immobilienentwickler Drees und Sommer. Er geht davon aus, dass Homeoffice künftig stärker in die Arbeitswelt integriert wird und so zweit- und drittklassige Immobilienstandorte als Gewinner der Krise hervorgehen könnten.
In einer Welt, in der Büronutzer nicht länger jeden Tag vom selben Ort aus arbeiten müssen, werde dann neben der Lage die digitale Infrastruktur wettbewerbsentscheidend sein, sagt er. Dadurch könne eine Immobilie mit Top-Anschluss in B-Lage mit einem 1-A-Standort konkurrieren.
Branchen wie Industrie, Banken und IT-Dienstleister rechnen mit einem wachsenden Trend zum Heimbüro, der den Büroflächenbedarf langfristig reduzieren werde. Immobilienexperte Leukhardt bleibt da eher skeptisch. Zwar glaubt auch er, dass sich nach Corona die Bürowelten ändern und der Anteil von Homeoffice zunehmen wird. Aber: „Die wenigsten haben ein voll funktionsfähiges Arbeitszimmer“, sagt er. „Die Praxis der letzten Monate hat gezeigt, dass die durchschnittliche Familie gewaltige Anstrengungen unternehmen musste, um ungestört arbeiten zu können.“ Zumal sei Wohnraum in den Ballungszentren knapp und teuer.

Warum also nicht eine Büroimmobilie in Wohnraum umwidmen? Ottmar Wernicke, Geschäftsführer von Haus und Grund Württemberg, winkt ab. Vereinzelt habe es das in der Vergangenheit schon gegeben, doch einer klassischen Büroimmobilie fehle die notwendige Infrastruktur. Bäder und Küchen müssten mit großem finanziellem Aufwand eingebaut, teilweise sogar Grundrisse verändert werden.

Die meisten Vermieter ließen aber schon deshalb die Finger von solchen Ideen, weil eine spätere Umwandlung wieder zurück in ein Büro schwierig sein könne. Denn mancherorts stehe dem das Verbot der Zweckentfremdung entgegen. Danach können Kommunen mit Mangel an Wohnraum eine Umwandlung in Büros untersagen.

Handelsverband rechnet mit Rückgang stationärer Ladenflächen

Weniger Flächen dürfte der Handel beanspruchen. Davon geht der Handelsverband Baden-Württemberg (HBW) aus. „Wir haben derzeit zu viel Fläche“, sagt Sabine Hagmann. Für die Hauptgeschäftsführerin des Verbands ist der Rückgang der stationären Ladenflächen schon durch den wachsenden Online-Handel Realität. Die Corona-Krise verstärke diesen Effekt.

Unternehmen, die schon durch den Online-Handel mit Umsatzproblemen zu kämpfen hatten, können oft die hohen Ladenmieten nicht mehr bezahlen. Der Anteil der Miete an den Gesamtkosten liegt derzeit zwischen sechs und 20 Prozent. Während einige große Filialisten per Anwaltskanzlei ihrem Vermieter nach Erlass des Mietmoratoriums mitteilen ließen, dass sie keine Miete mehr bezahlen wollen, haben die meisten Einzelhändler gemeinsam mit ihren Vermietern nach einer Lösung gesucht.

Dazu beigetragen hat der gemeinsam vom Handelsverband Deutschland und dem Zentralen Immobilienausschuss erarbeitete Verhaltenskodex, der auf einen Risikoausgleich zwischen Mieter und Vermieter zielte. Die Rückmeldungen beim HBW zeigen, dass die meisten Vermieter von Einzelhandelsimmobilien im Land kulant sind und einen gewissen Zeitraum bereit sind, auf einen Teil der Mieteinnahmen zu verzichten. Verbandschefin Hagmann ist das aber zu wenig: „Die Mieten müssen langfristig von dem hohen Niveau runter, wenn der Einzelhandel in den Städten erhalten werden soll.“ Ingo Dalcolmo

* Der Beitrag erschien am 17. Juli 2020 im Staatsanzeiger Baden-Württemberg.  
Ingo Dalcolmo








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