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Wirtschaft regional

Kapitalmarkt: Kein Grund zur Panik

Kapitalmarkt. Beim Round Table zum Bankengipfel im Pressehaus Stuttgart diskutierten führende Finanzexperten aus der Region Stuttgart die aktuelle Lage auf den Kapitalmärkten.

Ist jetzt die richtige Zeit, in Aktien zu investieren? Sollte man lieber verkaufen? Nicht erst durch die Corona-Krise ist die Verunsicherung gestiegen, was der richtige Weg sein könnte, sein Geld anzulegen. Ein unkalkulierbarer US-Präsident im Weißen Haus, der Handelskrieg der USA mit China, dazu der Ausstieg der Briten aus der Europä­ischen Gemeinschaft – der zunehmende Protektionismus auf der Welt macht es immer schwieriger für die Wirtschaft, kalkulierbare Risiken einzugehen.

Und jetzt auch noch eine Pandemie, wie sie die Neuzeit noch nicht erlebt hat. Beim traditionellen Bankengipfel von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten im Pressehaus diskutierten neun renommierte Finanzexperten aus Stuttgart zusammen mit dem Moderator Heimo Fischer – natürlich mit gebührendem Abstand – die aktuelle ­Lage auf den Kapitalmärkten. „Ganz entscheidend wird sein, wie sich welcher Markt erholen wird. Und von welcher Ausgangs­lage man ausgeht“ , sagt Marko Sunjic von der BW-Bank. Deutschland ­habe andere Voraussetzungen als die südlichen Nachbarländer. „Es wird aber dauern. Bestenfalls werden die Märkte ab 2022 wieder auf Vorkrisen-Niveau sein“, schaut Sunjic voraus.

Markus Heilig von der Bethmann Bank sieht die Wirtschaft in eine tiefe Rezession schlittern. „Das war bei früheren Krisen anders“, analysiert er. Deshalb müsse auf die Erholungskräfte gesetzt werden. Langfristig führt für ihn zwar kein Weg an der Aktienanlage vorbei – vor allem für den Vermögenserhalt –, in der aktuellen Situation sei es aber genauso wichtig, ein Stück weit auch ­liquide zu bleiben. Für Tobias Haspel von Merck Finck sind die Finanzmärkte derzeit vor allem aufgrund der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen liquiditätsgetrieben, wie er sagt. Derzeit fließe viel Geld in die Märkte, auch durch die massiven Anleiheaufkäufe der Europäischen Zentralbank.
Gibt es dabei Frustration bei den Kunden ob der ungewissen Ausgangslage, fragt ­Moderator Heimo Fischer. Johannes Kube von der Commerzbank verneint dies. Jetzt komme es darauf an, die richtigen Anlagen zu tätigen und gut strukturiert zu sein. Der Finanzfachmann kann sich vorstellen, dass sich einzelne Sektoren, Branchen oder Anlageklassen sogar viel früher erholen als 2022. „Darin liegt auch der Reiz für viele Anleger“, erklärt er das Verhalten vieler Anleger, jetzt nicht in Panik zu verfallen. Langfristanleger seien heute schon wieder auf dem Stand vom Januar. „Aber die Beratung ist wichtiger denn je“, betont Johannes Kube.

Andreas Rapp (Bankhaus Ellwanger & Geiger) ist noch etwas zurückhaltend mit einer Prognose. „Es wird sich zeigen, ob das alles auch nachhaltig ist“, sagt er. Aktien­anleger denken langfristig. Deshalb sei 2022 auch ein langer Zeitraum. Man habe in den jüngsten Gesprächen deutlich gemerkt, dass die Kunden einen langen Atem haben. „Wer die ­Liquidität hat, geht derzeit eher in den Markt als aus dem Markt heraus“, so Rapp.

Stefan Schmid von Julius Bär sieht derzeit eher die Gefahr, Trends zu verschlafen. Der aktuelle Transformationsprozess wirke sich ja makro- wie mikroökonomisch aus. Er nennt dazu das Beispiel der Digitalisierung. Dies sei ein Trend, der von Amerika ausgehend langsam auch in Deutschland Einzug halte. Auch das Geschäft der Banken ändere sich dadurch.

„Bergen die aktuellen Trends eine Gefahr für die Finanzmärkte?“, hakt Heimo Fischer nach. Corona habe gezeigt, wie stabil einzelne Geschäftsmodelle sein können. Letztendlich komme es immer auf die Selektion der Papiere in den Portfolios an, sagt Axel Döhner von Pictet. In puncto Geldanlage gibt er Anlegern den Rat, „herauszufinden, wer die Gewinner der nächsten Dekade sind. Und die erkennt man vor allem an stabilen Geschäftsmodellen. Die Amerikaner sind da trotz aller Schwierigkeiten vorne dabei.“

Beim Blick auf die USA müsse man zwei Phasen sehen. Die vor dem Wahlkampf und die danach, erläutert Christian Funke (UBS). Für die nächste US-Wahl werde entscheidend sein, wie es den Amerikanern geht. In den Vereinigten Staaten gebe es ein starkes China-Bashing, sowohl von der Regierungsseite als auch von der Opposition. Deshalb glaube er, dass es das auch weiterhin geben werde. Vor dem Hintergrund sei es wichtig, in beiden Märkten – in den USA wie in China
– in den richtigen Firmen investiert zu sein. Hier sehe er auch größere Chancen für Investitionen als in Europa. Eines sei bereits heute für ihn klar: „Die Welt wird lokaler werden. Wir werden ein Stück weit eine De-Globalisierung erleben.“ Deshalb ist es für ihn ­ genauso wichtig, sich auf jene Firmen zu konzentrieren, die eine lokale Wertschöpfungskette sowie lokale Konsumenten haben, so Funke. Für Tobias Haspel hat sich die De-Globalisierung schon länger abgezeichnet. So wurden bereits vor Corona Lieferketten in den USA abgebrochen. Sein Fazit: Die deutsche Exportwirtschaft werde es massiv treffen. Stefan Schmid sieht in Corona ein Ereignis, das die Schwachstellen der Globalisierung aufgezeigt habe. Jetzt müssten sie identifiziert werden. Marko Sunjic argumentiert, dass Europa zwischen den Stühlen sitzt, der deutsche Mittelstand jedoch pfiffig genug sein werde, sich darauf einzustellen und die Chancen zu nutzen. Vor allem konservativ geführte mittelständische Unternehmen seien im Vorteil, da sie oft einen längeren Atem hätten, ergänzt Kube.

Tobias Heintzen von der Volksbank Stuttgart unterstreicht die Aussagen. Deutschland habe als Trumpf in der Hand, dass gleich zu Beginn der Pandemie geschlossen gehandelt wurde und alle an einem Strang zogen. Die Zeit, die man vielleicht vor Corona mit der Transformation der digitalen Prozesse verloren hat, habe man wieder teilweise aufgefangen und könne nun für die Zeit danach neu ansetzen. Der deutsche Mittelstand sei aufgrund der konservativen Herangehensweise und Investitionsfreudigkeit gut ausgestattet, um dann im nächsten Schritt gestärkt aus der Krise hervorzugehen, so seine Überzeugung.

Markus Heilig wirft ein, dass eine de-globalisierte Welt nicht zwangsläufig besser sei. Die Krise habe deutlich gemacht, dass gerade globale Probleme nur global gelöst werden könnten. Zumal gerade viele mittelständische Unternehmen im Land Weltmarktführer seien und auf eine globalisierte Welt angewiesen seien. Auch dürfe nicht vergessen werden, dass gerade die globalisierte Wirtschaft viele Länder erst aus der Armut geführt habe. „Nationale Produktionsketten sind keine Lösung für die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts“, warnt Markus Heilig.

Axel Döhner stimmt zu, glaubt aber, dass die politischen Rahmenbedingungen kein Treiber für die Globalisierung sind. „Die Märkte werden für sich spielen“, ist er sicher. Auch die Konjunkturpakete auf europäischer Ebene dürften nur eine Mogelpackung sein, da sich jedes Land selbst am nächsten sei. „Es gibt kein Schwarz oder Weiß“, ergänzt Christian Funke. Und er fügt weiter an, dass die Globalisierung erst einmal einen Dämpfer erfahren werde.

„Eine andere Art von Globalisierung“ ­erwartet Andreas Rapp. Die Politik werde sich künftig öfter die Frage stellen, welche Industriezweige systemrelevant sind und in welchen Branchen man autark bleiben will. Aus seiner Sicht ist die Corona-Krise für Europa auch ein Lackmus-Test. In Zukunft werde es auch darum gehen, wie das Wachstum dem Wohlstand dient, sagt Stefan Schmid. „Die Frage ist doch, was ist nach Corona noch da? Welche Unternehmen können noch Dienstleistung produzieren und welche Konsumenten können diese noch konsumieren“, entgegnet Christian Funke. Deshalb sei das Thema Quantität nicht ganz unwichtig in der Diskussion.

„Verlagert sich womöglich der Wachstumsbegriff?“, wirft Moderator Heimo Fischer ein. „Es gibt eine Tendenz zu mehr Nachhaltigkeit“, sagt Tobias Heintzen. Aber auch der Wandel hin zu neuen Technologien habe an Fahrt zugelegt. Es werde künftig eine andere Art von Wachstum geben. Um auf den neuen Wachstumspfad aufzuspringen, werden die Unternehmen aber in sich hineinhören, Prozesse optimieren und über Veränderungen nachdenken müssen. „Gerade im Mittelstand wird es ein großes Umdenken geben“, prophezeit Heintzen.

„Und wie sieht es mit der Nachhaltigkeit in der Praxis aus?“, hakt Heimo Fischer nach. „Der Kunde fragt danach“, bestätigt Marko Sunjic. Allerdings gehen die Meinungen darüber, was Nachhaltigkeit ist, weit auseinander. „Wenn wir mit zehn Kunden über das Thema reden, haben wir elf Meinungen dazu“, ist die Erfahrung von Andreas Rapp. Hier sei noch viel Aufklärungsarbeit notwendig. „In fünf Jahren sind nachhaltige Geldanlagen Standard“, sagt Christian Funke. Markus Heilig pflichtet seinen Kollegen bei. Aber es müsse auch glaubwürdig sein, ergänzt er. Johannes Kube sieht beim Thema Nachhaltigkeit auch die Banken in der Verantwortung. „Wir können hier auch Teil der Lösung sein“, so sein Plädoyer.

Und wie sieht es mit der Rendite bei der Nachhaltigkeit aus? Früher seien die Kunden zugunsten der Nachhaltigkeit bereit gewesen, hier gewisse Abstriche zu machen, erinnert sich Stefan Schmid. Mittlerweile hätten nachhaltige Produkte bei der Rendite aufgeholt. „Die Frage ist doch, wie lange wird man es sich noch leisten können, nicht nachhaltig zu investieren“, so Markus Heilig.

„Was rät man denn nun einem Anleger in so einer Situation?“, fragt Heimo Fischer. „Grundsätzlich wird es immer auf die Gesamtsituation des Kunden ankommen“, sagt Stefan Schmid. An der Aktie komme aber niemand vorbei. „Unabhängig von der aktuellen Situation ist das auch die Basis der Beratung“, sagt Axel Döhner. Hierzu gehöre genauso die Diversifizierung. Es wäre falsch, sich bei der Geldanlage nur auf die Aktie zu fokussieren. Andere Assett-Klassen wie zum Beispiel Private Equity, Private Dept und ­Immobilien müssten genauso im Blick ­behalten werden. Doch was bedeutet das letztendlich für den Kapitalanleger. „Was rät man denn ­aktuell dem Kunden?“, bleibt Heimo Fischer hartnäckig und bringt das Thema erneut in die Runde ein. Für Christian Funke ist zumindest temporär die Zeit der ETFs vorbei. „Ich war immer ein großer Verfechter der ETFs, man muss heute viel selektiver vorgehen“, erklärt er.

Für Stefan Schmid kommt es in der Beratung vor allem auf die Gesamtsituation des Kunden an. Derzeit sei das Umfeld ideal für aktive Vermögensverwalter, wirft Marko Sunjic ein. Markus Heilig sieht langfristig ebenfalls die Aktie im Depot, weist aber auch darauf hin, das kurzfristig ein größerer Cash-Anteil wichtig sei. Daran knüpft Tobias Haspel an. So habe sich eine breite Diversifikation gerade in diesen Zeiten ausgezahlt. Staatsanleihen und Gold waren die Profiteure, deshalb sollte sich der Anleger nicht nur auf Aktien allein verlassen.

Axel Döhner bringt noch ein anderes Thema zur Sprache. Die Kunden würden, wie gesagt, immer häufiger danach fragen, wie nachhaltig die Anlage sei. Das sei bei ETFs schwierig, da der Kunde nur einen Index kaufe und man nicht in das Unternehmen schauen könne. Es komme dabei auf die Branchen an, so Tobias Heintzen. Andreas Rapp sieht zudem in der Demografie ein wichtiges Thema für die Geldanlage. Er hält eine Branchenspezialisierung für wichtig, will jedoch die ETFs nicht ganz verdammen.
Neben Aktien, Fonds, Anleihen und Derivaten interessieren sich zunehmend immer mehr Anleger auch für Private Equity. Dabei handelt es sich um eine Form des Beteiligungskapitals, bei der die vom Kapitalgeber eingegangene Beteiligung nicht an geregelten Märkten handelbar ist. Axel Döhner: „Das Geld muss der Anleger einfach übrig haben.“ Im Gegensatz zu einer Aktie kann man seine Beteiligung nicht einfach verkaufen. Trotzdem könne es eine sinnvolle Ergänzung sein, so der Bankmanager. Für Christian Funke muss der Kunde Private Equity auch verstehen. „Er sollte wissen, was er da hat.“ Doch auch er bestätigt, dass Private Equity eine hervorragende Investition sein kann, wenn es gut gemanagt wird.

Die Bilanz nach zwei Stunden reger Diskussion: Die Aktie bleibt der wichtigste Eckpfeiler im Depot, wobei die Diversifikation künftig eine noch größere Rolle als zuvor spielen dürfte. Aktuell sollte der Blick auch auf eine höhere Liquidität gelenkt werden und Anlageformen wie Private Equity oder Hedgefonds sind eher etwas für Anleger, die sich auskennen und über ein größeres Vermögen verfügen. Und über nachhaltige Geldanlagen werde man in einigen Jahren nicht mehr sprechen, weil sie dann längst Standard seien. Ingo Dalcolmo