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Wirtschaft regional

Ein diversifiziertes Portfolio ist auch in der Krise das Gebot der Stunde

Viele Unternehmen stehen angesichts der globalen Entwicklungen mit dem Rücken an der Wand. An den Börsen wird von einem historischen Markteinbruch gesprochen. Hat sich das Bewusstsein für die Geldanlage in Wertpapiere durch die Krise verändert? Was wären die richtigen Rezepte für Anleger in dieser extrem volatilen Phase? Wie sollen sich private Investoren – ob mit kleinem oder größerem Vermögen – jetzt verhalten?
Fragen, auf die Vertreter namhafter Banken und Geldinstitute sowie der Börse Stuttgart Antworten geben können – beim Roundtable „Kapitalanlage in Krisenzeiten“ der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten.

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Der Roundtable zur Corona-Krise mit der Finanzwirtschaft als Videokonferenz

Der Raum „Fernsehturm“ im neunten Stock des Pressehauses Stuttgart, in dem normalerweise die Expertenrunden stattfinden, blieb dieses Mal verwaist. Natürlich wegen der Corona-Kontaktbeschränkungen. Dafür debattierten die acht Vertreter der Finanzwelt mit Moderator Heimo Fischer in einem virtuellen Studio im Internet. Wie steht es um die Lust der Investoren, so die Einstiegsfrage an die Adresse von Dr. Michael Völter, Vorsitzender des Vorstands der Vereinigung Baden-Württembergische Wertpapierbörse.

„Die Händler freuen sich, dass sie sich buchstäblich die Finger wund tippen konnten“, sagt er. So sei im März die Orderanzahl um das Vierfache gegenüber normalen Monaten angestiegen. Dass sei darauf zurückzuführen, dass gerade in Krisenzeiten die Volatilität an Börsen steige und damit ebenso das Handelsaufkommen. Aber, schränkt Völter ein: „Solche Extreme muss eine Börse auch aushalten.“ Deshalb findet er es gerade jetzt wichtig, dass eine Börse offen ist. Denn der Kapitalanleger müsse die Möglichkeit zum Reagieren haben, so seine Überzeugung.

Christian Funke, der die UBS vertritt, hat in den vergangenen Wochen der Krise festgestellt, dass der Beratungsbedarf in der aktuellen Situation enorm zugenommen hat. „Die Kunden wollen wissen, wie es weiter geht und wie wir die Situation einschätzen.“ Andererseits seien die Investoren derzeit sehr besonnen. „Die Kunden sehen uns als Problemlöser und nicht wie in der Finanzkrise 2008 / 2009 als Teil des Problems.“ Im Kern gehe es um zwei Fragen: „Wie schnell kommen wir wieder in eine nachhaltige Normalisierung? Wie schnell werden die Unternehmensgewinne wieder steigen?“



Was im Moment auf dem Parkett passiere, sei eine Parallelentwicklung der Corona-Infektionsraten mit dem Börsenverlauf, erläutert Christophe Frisch von der BW-Bank. „Was wir im Moment an den Finanzmärkten an Unterstützung durch Notenbanken und staatliche Maßnahmen erleben, hat es so noch nie gegeben“, analysiert er. Deshalb sei die aktuelle Entwicklung auch nur schwer mit der Vergangenheit zu vergleichen.

Dem pflichtet Andre Weber (Bankhaus Bauer) bei. Doch vom Worst-Case-Szenario einer Rezession oder einer Finanzkrise will auch er nicht sprechen. „Niemand kann sagen, wie die Zukunft aussehen wird. Aber ich habe die Befürchtung, dass das noch nicht alles war.“ Einen Silberstreif am Horizont erwartet er erst, wenn tatsächlich ein wirksames Medikament und ein Impfstoff verfügbar ist.

Für Andreas Rapp von Ellwanger & Geiger hat die Corona-Krise wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. „Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir aus der Situation wieder herauskommen.“ Entscheidend sei, dass diese Krise eine ganz andere Dimension wie die vorigen habe. „Niemand weiß heute einzuschätzen, wie lang die Bremsspuren werden.“


Ein Lob an dieser Stelle spricht Johannes Kube von der Commerzbank an die Adresse der Politik aus. Das sei ein „extrem mutiges und kraftvolles Vorgehen.“ Wenn man aus vorhergehende Krisen eins gelernt habe, dann, dass man schnell, bestimmt und mit viel Geld gegensteuern muss, um es in den Griff zu bekommen. Denn es gehe ja darum, auch die Realwirtschaft zu stärken und zu stabilisieren. „Ich denke aber, dass diese expansive Geldpolitik langfristig in Deutschland beherrschbar bleibt.“

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Das sieht auch Uwe Decker von der Walser Privatbank so. „Die Zentralbanken agieren als Kreditgeber der letzten Instanz und werden ihrer Rolle als Brandlöscher einmal mehr gerecht.“ Sie versuchten zu verhindern, dass aus der Gesundheitskrise eine Finanzkrise mit rapide steigenden Kreditausfällen, Ratingherabstufungen und letztlich einer Insolvenzwelle wird.“ Die durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen hätten aber auch eindrücklich gezeigt, wie verletzlich die Kapitalmärkte letztendlich sind.

Ein weiterer Aspekt: Die seit Anfang April einsetzende Erholung schreitet nur langsam voran und ist alles anderes als verlässlich. Aufgrund der Unsicherheiten um die weitere Entwicklung der Krankheit, kann niemand aktuell verlässliche Prognosen über die Entwicklung der Wirtschaft und der Kapitalmärkte geben, so Deckers Einschätzung, da niemand weiß, wie lange der
Ausnahmezustand anhält.

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Und wie soll es weitergehen, insistiert Moderator Heimo Fischer? Was rät man Anlegern? Einige Unternehmen werden wohl gestärkt aus der Krise hervorgehen, sagt Christian Kuhnle von der Südwestbank, andere werden möglicherweise trotz Staatshilfen verschwinden. „Die Qualität der Frage, wohin ich investiere, wird eine ganz andere werden. Und der Beratungsbedarf wird steigen.“

Michael Völter hat festgestellt, dass sich in der Struktur der Kapitalanlage und der -anleger beim Risikomanagement einiges verändert habe. Aktuell gehe der Anleger viel stärker in volatile Assets, also Aktien und Wertpapiere. „Meine Botschaft: Der Privatanleger sollte nicht verunsicherter sein als in früheren Krisen.“ Er müsse sich heute aber mehr als früher überlegen, ob und welche Absicherungsstrategien gefahren werden Das sei heute noch wichtiger als vor einigen Jahren.

Ist es denn die richtige Zeit, um ein Aktien-Engagement zu überdenken, womöglich aus einzelnen Titeln rauszugehen und später wieder einzusteigen, um dann eventuell günstig einzukaufen, will Heimo Fischer wissen. „Das ist ein psychologisches Phänomen, das wir häufig mit Kunden diskutieren“, gibt Andreas Rapp einen Einblick in die Praxis. Er hält diese Vorgehensweise für taktisch unklug, da der Weg zurück oft schwierig sei. Johannes Kube schlägt sich auf die Seite seines Vorredners.

Es wäre fatal, auf Aktien sitzen zu bleiben, die keine Zukunft haben und sich nicht erholen. „Rausgehen und auf noch tiefere Kurse zu hoffen, halte ich für ein sehr riskantes Spiel.“ Viele Krisen in der Vergangenheit hätten gezeigt, dass viele Anleger dann an den Aufwärtsbewegungen nicht mehr teilnehmen.

Christophe Frisch sagt, dass wir eine „Japanisierung“ der Zinsen erleben werden. Die massive Verschuldung des Staates durch die Krise könnte dazu führen, dass es über einen sehr langen Zeitraum äußerst niedrige Zinsen geben werde. „Wer irgend einen realen Ertrag mit einer Kapitalanlage erzielen will, wird sich von risikofreien Zinsen verabschieden müssen“, lautet seine Prognose. Andre Weber ergänzt das. Er rät, aus guten Einzeltiteln nicht herauszugehen, sondern diejenigen, die Wachstumspotenzial versprechen, mit Derivaten abzusichern.
„Wenn der Anlagehorizont langfristig ausgerichtet ist, macht man nichts falsch, das Geld jetzt zu investieren“, so Uwe Decker.

Schließlich notierten viele Titel mit einem Abschlag von rund 30 Prozent gegenüber den Hochs im Februar. Im Aktiensegment gab es auch Krisengewinner, vor allem global führende Digitalkonzerne. „Ich rate aber generell zur Vorsicht bei der Einschätzung, ob eine Aktie nun besonders billig geworden ist. Entscheidend sind Gewinnerwartungen. Denn was bringt der günstige Kaufkurs eines Unternehmens, wenn die Gewinne ausbleiben“, so Decker weiter. Christophe Kuhnle sagt, er sei schon immer ein „Fan von Aktien“ gewesen. Er sieht vor allem Chancen bei Unternehmen, die global unterwegs sind und sich digital aufgestellt haben. Jetzt sei eine gute Chance, dort die Aktienquote in den Portfolios auszubauen.

Bei vielen Investoren steht Gold ganz oben. Doch macht es Sinn, sein Depot mit Gold abzusichern, nach dem auch hier der Preis in den Keller ging, fragt Heimo Fischer in die Runde? Unbedingt, sagt Johannes Kube. Gold sei nicht nur eine Versicherung gegen Krisen, es ist mittlerweile auch ein Schutz vor Strafzinsen. Das sieht Christian Funke ganz genauso. „Gold gehört ins Depot, wenn man es nicht schon hat.“

Beim Thema Immobilien gehen die Meinungen etwas auseinander. Während Christophe Frisch weiter mit gutem Gewissen in einem diversifizierten Portfolio zu Immobilien raten würde, da sie letztendlich ertragsstabil seien, sieht das Christian Funke anders. Er kann diese Meinung nur für die selbst genutzte Immobilie teilen.

Nach ebenso lebhafter wie meinungsstarker zweistündiger Debatte endete der erste digitale Roundtable der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten mit vielen neuen Erkenntnissen über den Finanzmarkt. Einigkeit herrscht bei alle Fachleuten darin, dass die Welt nach Corona – auch im Finanzsegment. eine völlig andere als die davor sein werde. Sehr viel digitaler. Aber nicht mehr so global. Neben der neuen Erfahrungen einer virtuellen Gesprächsrunde steht aber auch die Hoffnung aller, sich möglichst bald persönlich in die Augen schauen zu können – und bei Kaffee und Keksen im Pressehaus Stuttgart ganz analog zu treffen.
Reimund Abel/Ingo Dalcolmo