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Compliance-Verstöße ziehen ernste Konsequenzen für die Unternehmen nach sich


Die Schlinge zieht sich zu. Unternehmen und ihre Manager geraten immer häufiger in den Fokus von Ermittlungsbehörden, weil sie gegen Compliance-Regeln verstoßen haben. Was zu Deutsch etwa mit Regelkonformität übersetzt werden kann, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit für jedes Unternehmen. Doch im Dschungel immer neuer Gesetze und Regelungen tut sich besonders der Mittelstand schwer zu erkennen, was noch regelkonform ist und wo mögliche Bußgelder drohen und Haftungsrisiken liegen könnten. Die hochkarätig besetzte Expertenrunde beim Round Table Compliance im Pressehaus Stuttgart bringt Licht ins Dunkel.

Beim 5. Round Table der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten im Pressehaus Stuttgart diskutierten Rechts- und Steuerexperten nicht nur über Strategien, wie sich Unternehmen und ihre leitenden Mitarbeiter vor Strafen schützen können. Moderiert vom Wirtschaftsjournalisten Heimo Fischer, gingen sie zudem der Frage nach, welche Folgen Verstöße gegen die Compliance-Regeln für Unternehmen und Führungskräfte haben können. Dass diese Verstöße kein Kavaliersdelikt sind oder gar mit einem Handstreich vom Tisch zu fegen sind, ist für Sonja Fingerle (BRP Renaud & Partner), längst Realität. Die Strafrechtlerin bestätigt, dass Führungskräfte immer öfter in den Fokus der Ermittlungsbehörden geraten. Und sie kann auch erläutern, warum: „Es gibt heute seitens der Behörden weniger Berührungsängste, gegen leitende Mitarbeiter eines Unternehmens aktiv zu werden.“
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Fotos: Wilhelm Mierendorf


Rechtsgebiete wachsen

Bernd Peter von der Bansbach Econum Unternehmensberatung sieht eine weitere Ursache in den immer größer werdenden Rechtsgebieten. „Es gibt mehr Regelungen, ob im Steuer- oder Kartellrecht“, sagt er. Außerdem würden die Ermittlungsbehörden einzelne Verstöße heute deutlich konsequenter verfolgen als vor einigen Jahren, bestätigt er Sonja Fingerles Aussage.

Kulturwandel in der Gesellschaft

Dr. Thomas Trölitzsch von Oppenländer Rechtsanwälte stimmt dem Kollegen Peter zu, sagt aber auch, dass die höhere Zahl an Ermittlungen etwas mit dem Kulturwandel in unserer Gesellschaft zu tun habe, wie er es nennt. Manch ein Unternehmen und Vorstand tue sich schwer damit, auf die Flut an neuen Regelungen noch angemessen zeitnah zu reagieren, so Dr. Bob Neubert von der Bansbach Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft.

Die Compliance-Experten waren sich einig, dass die wirtschaftlichen Folgen von Compliance-Verstößen für „erwischte“ Unternehmen erheblich sein können. Wer zum Beispiel auf öffentliche Aufträge angewiesen ist, könne bei Compliance-Verstößen sogar ausgeschlossen werden, erläutert Dr. Johannes Scherzinger (BRP Renaud & Partner). Die Folge: „Der Zugang zu wichtigen Geschäftsfeldern kann verschlossen sein.“

Ausschluss von öffentliche Auftragsvergaben

Die Kriterien für den Ausschluss von öffentlichen Auftragsvergaben seien klar geregelt, ergänzt Dr. Matthias Ulshöfer von Oppenländer Rechtsanwälte. Zwingend gelte ein Ausschluss eines Unternehmens für sogenannte Katalogstraftaten, etwa der Bildung einer kriminellen Vereinigung oder bei Geldwäsche. Daneben gebe es aber auch sogenannte fakultative Ausschlussgründe im Vergaberecht. Die lägen im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers.

Dazu zählen nach Ulshöfers Aussage zum Beispiel Kartellabsprachen. Aber: Nicht alle Kartellabsprachen sind auch automatisch strafrechtlich relevant.
Thomas Trölitzsch erinnert sich an einen Fall aus seiner Praxis, bei dem ein Sanitärunternehmen im Nachhinein rehabilitiert worden sei, zwischenzeitlich jedoch Insolvenz anmelden musste, weil es keine öffentlichen Aufträge mehr bekam. „Oft kommt die Klärung des rechtlichen Sachverhalts zu spät“, sagt der Rechtsanwalt. Künftig werden nicht nur Auftraggeber der öffentlichen Hand bei Ausschreibungen auf das Wettbewerbsregister zurückgreifen, sondern auch die Privatwirtschaft, so die Sorge der Experten.

Fließende Grenzen bei Kartellabsprachen

„Gerade bei Kartellabsprachen verlaufen die Grenzen zwischen erlaubt und verboten häufig fließend“, argumentiert Bob Neubert. „Wenn sich Konkurrenten treffen, muss das nicht zwingend bedeuten, dass sie etwas Kriminelles im Schilde führen.“ Problematisch werde es allerdings, wenn etwas dokumentiert und damit nachweisbar wird, sagt der Experte.

Welche weitreichenden Folgen Verstöße gegen Compliance-Regeln haben können, konnte Susanna Böttcher von Bansbach an einem anderen Beispiel dokumentieren. Vor allem exportorientierte Unternehmen seien auf Verfahrensvereinfachungen beim Zoll oder auf Sonderrechte angewiesen. „Werden diese entzogen, ist das für das betroffene Unternehmen hart.“

Insbesondere kleinere mittelständische Unternehmen täten sich mit der Flut an Vorschriften und Gesetzen, die auf sie einstürmen, zunehmend schwerer. „Große Konzerne kennen in der Regel alle wichtigen Rechtsvorschriften“, sagt Johannes Scherzinger. Auch würden die Mitarbeiter dort regelmäßig geschult und angewiesen, sich entsprechend zu verhalten. Dennoch könne es vorkommen, dass sich Mitarbeiter nicht daran halten – weil sie sich einen persönlichen Vorteil erhofften oder vermuteten, dass nichts dokumentiert wurde. Matthias Ulshöfer ist sich sicher, dass ein Compliance-Management dabei helfen kann, Vorstößen vorzubeugen, zum Beispiel im Kartellrecht.

Aber: Viele Firmen seien nach wie vor der Ansicht, dass sie in erster Linie ihr Geld damit verdienen, Produkte zu kaufen – und nicht darauf achten, sich Compliance-adäquat zu verhalten.

Das grundsätzliche Problem: „In der Denke eines Vertriebsmitarbeiters ist mancher Compliance-Verstoß nicht verwerflich. Sie denken, sie tun etwas Gutes für das Unternehmen. Wenn dann aber etwas passiert, ist der Aufwand, den man sich ins Haus holt, um alles aufzuarbeiten, immens. Man hat ein Kartellverfahren, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, Schadenersatzforderungen und vieles mehr.“

Verantwortliche Person im Unternehmen benennen

Unternehmen täten gut daran, im Vorfeld ein Compliance-System mit einer verantwortlichen Person im Unternehmen zu installieren, so die einhellige Meinung der Expertenrunde. Bereits ab einer Zahl von 50 Mitarbeitern könne man sich dieser Frage nicht mehr entziehen.

Erhalt des Wettbewerbs

Ziel sei bei dem ganzen Compliance-Thema, den Wettbewerb zu erhalten, relativiert Bernd Peter. Natürlich sei es verständlich, dass ein Vertriebsmitarbeiter versucht, seine Provision zu maximieren. Es sei gleichwohl erstaunlich, wie naiv und unsensibel manche Mitarbeiter gerade bei diesem Thema agierten. Vielen sei offenkundig nicht klar, dass sie gegen Gesetze verstoßen.
Anders stellt es sich im Steuerrecht dar. „Unseren Kunden sind die Regelungen besser bewusst“, lautet Bob Neuberts Erfahrung. Das liege nach seiner Einschätzung auch an der intensiveren Aufklärung. „Niemand will auf Zinsnachzahlungen sitzenbleiben, die aus Steuernachzahlungen resultieren.“ Er stelle fest, dass die Mandanten beim Thema Compliance zunehmend mitgingen und es richtig machen wollen. Das liege unter anderem auch daran, dass die Finanzverwaltungen immer genauer hinschauten. „Mit jeder Betriebsprüfung wird man deutlich kleinkarierter und erwartet die Compliance-Einhaltung.“
Unternehmen breche eher ein Compliance-Thema das Genick als ein Produkt, ist Matthias Ulshöfer überzeugt. Wenn ein Unternehmen in so ein Compliance-Thema hineinlaufe, sei es oft ein existenzielles Problem.

Verlust von Aufträgen

„Da geht es dann oft um mehr als den Verlust eines mittelgroßen Auftrages.“ Für Sonja Fingerle sind strafrechtliche Verstöße nicht mit Naivität zu entschuldigen. „Strafrecht setzt immer ein vorsätzliches Verhalten voraus. Wenn ein Mitarbeiter eine Straftat begehen will, kann das mit noch so viel Compliance nicht verhindert werden.“ Die wenigsten strafrechtlichen Verstöße betreffen Unternehmen. In der Regel wird, auch weil es im Gegensatz zu anderen EU-Ländern in Deutschland noch kein Unternehmensstrafrecht gibt, zunächst einmal gegen die einzelnen Mitarbeiter ermittelt.“ Die aktuellen Verfahren gegen Unternehmen seien Ordnungswidrigkeitsverfahren. Aber auch da könnten heute schon empfindliche Geldbußen verhängt werden.

Selbst wenn Unternehmen Mitarbeitern eigentlich etwas Gutes tun wollen, kann dies zu erheblichen Steuernachzahlungen führen, zeigt Moderator Heimo Fischer an einem Beispiel auf. So hatte eine Firma den Mitarbeitern angeboten, günstig ein E-Bike zu erwerben. Aber darin lauert ein Problem. Denn solche Fälle seien typisch bei einer Steuerprüfung, sagt Susanna Böttcher. Ob die Firma den Mitarbeitern etwas Gutes tun wolle oder nicht, sei dabei unerheblich. Es gehe lediglich darum, ob alle Vorschriften eingehalten worden seien. Probleme treten auf, wenn Abteilung A nicht mit Abteilung B redet.

Abteilungen miteinbeziehen

Gerade das hängt ganz wesentlich vom Unternehmen selbst ab, sagt Johannes Scherzinger. Wichtig sei dabei, Strukturen und Prozesse festzulegen und die Abteilungen miteinzubeziehen. Dennoch sei nicht alles vorhersehbar. „Compliance ist ein lebendiges System, bei dem ständig die Prozesse nachgeschärft werden müssen.“ Für kleine Unternehmen sei der Aufwand hoch, räumt er ein. Man müsse sich klarmachen, dass Compliance im Unternehmen etabliert sein muss, sagt Bernd Peter. Jeder Einzelne sei dafür verantwortlich, sich compliant zu verhalten. Deshalb genüge es nicht, Richtlinien zu erlassen, sie müssten mit Leben gefüllt werden.

Matthias Ulshöfer weist auf ein weiteres Problem hin. Viele Abteilungen würden nur „ihr eigenes Ding“ machen und sehen nicht die Gesamtverantwortung. Besonders schwierig sei dies, wenn Abteilungen nicht gleichberechtigt agierten. Ein Beispiel: Rechts- und Steuerabteilungen werden oft eher als notwendiges Übel gesehen, die Geld kosten, aber keinen Umsatz erwirtschaften. „Wenn in einer Firma diese Struktur vorherrscht, ist die Neigung, bei den Fachleuten der Rechtsabteilung nachzufragen, eher unterrepräsentiert“, so Ulshöfer.

Neues Geschäftsgeheimnisgesetz

Ein spannendes Thema sei auch das neue Geschäftsgeheimnisgesetz, so Thomas Trölitzsch. Einerseits gehe es dabei um den Schutz jener Leute, die etwas an die Öffentlichkeit bringen, die sogenannten Whistleblower. Andererseits verlagere der Staat immer mehr Kontrolle auf den Privatmenschen. „Das ist aus meiner Sicht kritisch zu sehen.“ Auch Johannes Scherzinger argumentiert, dass immer häufiger auch Unternehmen die Arbeit der Behörden machen. „Die Unternehmen werden sich in den nächsten Jahren noch viel stärker mit Whistleblowern auseinandersetzen müssen“, glaubt er. Sonja Fingerle stellt in ihrer Praxis fest, dass zunehmend Verfahren allein aufgrund anonymer Hinweise zustande kommen.

Ein Thema mit sehr vielen Facetten, das längst nicht in allen Unternehmen in seiner ganzen Tragweite angekommen ist, fasst Moderator Heimo Fischer die zweistündige, intensive Debatte zusammen. Der nächste Round Table Compliance scheint angesichts der Brisanz und Aktualität schon jetzt gesetzt.