Aspen RapidWeaver 8 Blog Style
Wirtschaft regional</i>

Wirtschaft regional

Das Recht muss für die Digitalisierung nicht neu erfunden werden

Round Table. Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung mit riesigen Schritten vorangetrieben. Dieser Wandel verändert aber auch die Art, wie Menschen und Unternehmen handeln. Letztendlich werden auch die Möglichkeiten erweitert, Informationen und Wissen zu generieren. Beim Round Table „Ganz digital oder lieber noch analog?“ diskutierten acht Rechtsexperte im Pressehaus Stuttgart – natürlich in gebührendem Abstand – die Frage, wie sich durch diesen Transformationsprozess die Methoden des Rechts ändern und/oder ob es notwendig ist, neue Spielregeln aufzustellen.


IMG_E7021

Moderator Heimo Fischer kommt gleich auf den Punkt: „Überholt die Digitalisierung gerade das Recht?“ – Dr. Anke Thiedemann von der Rechtsanwaltsgesellschaft RWT ist Fachanwältin für IT-Recht und zertifizierte Datenschutzbeauftragte des TÜV Süd. Ihre Erfahrung aus der Praxis: Gerade bei der Einführung neuer digitaler Produkte sei der Datenschutz ein ganz großes Thema. Aber auch die coronabedingte Kommunikation via Videokonferenztools habe viele rechtlichen Fragen aufgeworden.

Zunehmend geraten technische Gadgets wie Fitnesstracker, Smart home-Anwendungen oder auch Socken, die die Schritte des Trägers analysieren, in den Fokus der Juristen. „Wir haben im Bereich von Smart Devices viel Beratungsbedarf“, weiß auch die ebenfalls auf IT-Recht spezialisierte Rechtsanwältin Bettina Backes von Haver Mailänder zu berichten. Hier seien vor allem die vertragsrechtlichen Fragestellungen und in diesem Zusamenhang auch der Datenschutz für den Juristen spannend. Mit dem Aufkommen des Internets sei oft vom Internet als rechtsfreien Raum gesprochen worden. Die Praxis habe aber gezeigt, dass dem nicht so ist. „Wir hinken dem Internet zwar etwas hinterher, mit dem bestehenden juristischen Handwerkszeug ließen sich aber viele der brandaktuellen Fragen lösen“, so die Juristin.

Der Bank- und Kapitalmarktexperte Rechtsanwalt Stefan Allmendinger, tätig für von Buttlar Rechtsanwälte, sieht die Probleme der Digitalisierung in seinem Bereich weniger in den rechtlichen Rahmenbedingungen als in der praktischen Anwendung. „Uns beschäftigt eher die Frage, wie wir die Masse an Fällen heute günstig abwickeln können“. Die Justiz hinke bei der Digitalisierung noch völlig hinterher, bemängelte der Rechtsanwalt. Man schicke zwar mittlerweile die Schriftsätze online an das Gericht. Zurück komme aber immer noch alles per Post.
Rechtsanwalt Carsten Andreas Senze von Luther Rechtsanwaltsgesellschaft ist ebenfalls IT-Rechtexperte. Bei ihm spielen Fragen rund um die Vertragsgestaltung von Software und technischer Infrastruktur eine große Rolle. „Als Mitarbeiter muss ich auch zu Hause in meinem Home Office darauf achten, dass der Bildschirm gesperrt ist, wenn ich den Arbeitsplatz verlasse“, sagt er. Sein Tipp: Das ließe sich aber durch entsprechende Betriebsvereinbarungen auch festlegen.

Rechtsanwalt Simon Beier von Burger, Rosenbauer und Beier ist Experte für Mergers & Acquisitions. Dabei geht es zum Beispiel um Fusionen, Unternehmenskäufe, Betriebsübergänge, fremdfinanzierte Übernahmen oder Unternehmenskooperationen. Welche Rolle spielt hier die Digitalisierung und welchen Einfluss habe das auf das Recht, will Moderator Heimo Fischer wissen? „Hier geht es in erster Linie um rein datenschutzrechtliche Fragen. Wie geht man mit den Daten um, welche Daten legt man zu welchem Zeitpunkt vor, wie werden die Daten aufbereitet“, erklärt der Jurist. Die Sensibilität für dieses Thema habe zugenommen. Auch die Anforderungen, die heute an einen virtuellen Datenraum gestellt werden. Andererseits würden potentielle Käufer eines Unternehmens heute viel sensibler auf Datenschutzverstöße reagieren.

Auch für Rechtsanwalt Fabian Walderich von Thümmel, Schütze & Partner hat die aktuelle Corona-Pandemie den schon länger eingeleiteten digitalen Transformationsprozess beschleunigt. Beispiel Home Office: „Vieles wurde coronabedingt gemacht, ohne dass da im Einzelfall auch der rechtliche Rahmen gesetzt wurde. Jetzt muss man sich das anschauen und prüfen, ob es richtig gemacht wurde oder wo etwas verändert werden muss“. Bei Softwarethemen stelle sich zudem immer wieder die Frage des Arbeitnehmerdatenschutzes und des Mitbestimmungsrechtes, ist die Erfahrung des Arbeitsrechtlers. „Im Arbeitsrecht überholt die Realität das Recht schon längst. Mit den Mitteln, die wir haben, kommen wir nicht mehr zurecht.“ Dabei gehe es nicht nur um die Digitalisierung, sondern die ganze Arbeitswirklichkeit. Viele Dinge, die sich Arbeitgeber wünschten, würden vom aktuellen Recht nicht mehr abgebildet, so der Arbeitsrechtler. Im Gegensatz zu den Landgerichten seien die Arbeitsgerichte aber schon „voll digital“.

In Deutschland würden gerade Start-ups die Digitalisierung vorantreiben, so Rechtsanwalt Dr. Carsten Ulbricht von Menold Bezler. Hier gebe es viele Ideen, die oft schneller umgesetzt würden als es in einem Großunternehmen möglich sei. Deshalb haben viele große Unternehmen sich in der Vergangenheit auch an diesen jungen Unternehmen beteiligt, sie in bestehende Unternehmensteile integriert oder gleich ganz gekauft. Andere Unternehmen würden selbst Digitalisierungsgesellschaften gründen, da sie erkannt hätten, dass sie im Konzernumfeld mit der Digitalisierung nicht so schnell vorankommen wie es eigentlich nötig wäre. „Es geht um Kommunikation, digitale Produkte und Prozesse, so der IT-Recht und Datenschutzexperte. Er hält das bestehende juristische Handwerkszeug für ausreichend. Ulbricht befürchtet aber, dass die Juristen hinterherhinken. „Im Studium wird einem eine andere Form von Jura beigebracht.“ Anstelle des Mandanten zu sagen, was nicht geht, müsste man ihm viel mehr Wege aufzeigen, wie er das Problem lösen kann.“

Dr. Alexander Sommer von Kullen Müller Zinser bestätigt die Aussagen seines Vorredners, ergänzt aber, dass bei der Digitalisierung im ganzen Land einiges im Argen liege und gegenüber anderen Ländern noch viel nachzuholen sei. Natürlich müsse man in punkto Digitalisierung auch bei der Ausbildung nachziehen, so der Fachanwalt für Steuerrecht. Andererseits ist Sommer aber der Meinung, dass es keiner neuen Gesetze bedarf, sondern das bestehende Recht nur angewendet werden müsse.

Corona hat das Home Office von heute auf morgen quasi alltagstauglich gemacht. Doch an welche Grenzen stösst aktuell das Recht bei diesem Thema, will Moderator Heimo Fischer wissen?
Fabian Walderich sieht das Arbeitsrecht noch in der Vergangenheit verhaftet, weshalb man damit auch beim Home Office an die Gernzen stoße. Zum Beispiel beim Arbeitsschutz und der Arbeitssicherheit. So sei der Arbeitnehmer einerseits für die Arbeitssicherheit seiner Arbeitnehmer verantwortlich und könne auch haftbar gemacht werden. Andererseits habe der Arbeitnehmer in seiner Wohnung das alleinige Bestimmungsrecht. Dafür müssten dann entsprechende Home Office-vereinbarungen geschlossen werden. „Das Thema haben viele Unternehmen derzeit noch gar nicht auf dem Schirm“, sagt der Jurist.

Und wie sieht das mit dem Datenschutz am Heimarbeitsplatz aus, fragt der Moderator? Nun, die Datenschützer halten sich derzeit etwas zurück, sofern es zu keinen groben Verstößen kommt, will Anke Thiedemann in Erfahrung gebracht haben. „Es geht doch darum, dass die Mitarbeiter überhaupt erst einmal von zu Hause arbeiten können“.

Doch wie sieht das in der Praxis aus, hakt Fischer nach? Viele Arbeitnehmer hätten mittlerweile ihren Büroarbeitsplatz gegen das heimische Wohnzimmer getauscht. Der Plausch mit dem Kollegen, die Konferenz mit Butterbrenzeln und Cola findet nun via Videokonferenz statt. Doch welche Programme sind rechtlich unbedenklich, worauf muss das Unternehmen achten, fragt Heimo Fischer in die Runde? Carsten Ulbricht geht noch einen Schritt weiter. Er bringt neben dem Home Office das Mobile Office ins Gespräch. Viele Menschen arbeiteten ja nicht nur von zu Hause, sondern auch von unterwegs. Corona war hier vor allem für die Vdeokonferenzsysteme ein Brandbeschleuniger. „Diese Werkzeuge werden auch nach der Pandemie bleiben“, ist sich der Jurist sicher. Deshalb müssen jetzt die rechtlichen Vorgaben auch nachgezogen werden. Das eine ist der Datenschutz – darf ich das? und das andere ist der Bereich der Datensicherheit – was muss technisch gewährleistet sein, so dass niemand anderes darauf zugreifen kann? „Letztendlich geht es darum, den Mandanten eine vertretbare Lösung aufzuzeigen“.

Wer haftet letztendlich, will Heimo Fischer wissen? Verantwortlich sei der, der im Unternehmen für den Datenschutz verantwortlich zeichnet, erklärt Carsten Senze. Aber auch jene Unternehmen, die für andere Daten verarbeiten, hafteten, wenn deren Mitarbeiter sich eines Datenschutzvergehens schuldig machen. „Das geht hin bis zu Schadensersatzansprüchen“, so der Experte. Um Datenschutzverstöße zu verhindern, könnten Videokonferenzsysteme auch unterschiedliche Benutzermöglichkeiten bekommen. So können einzelne Teilnehmer zum Beispiel nur per Audio an der Konferenz teilnehmen. Man könne aber auch das Sharen (Verteilen) von sicherheitsrelavenaten Dokumenten ganz oder teilweise unterbinden. So sei es auch die Aufgabe des Unternehmens, Regeln für das Abhalten Videokonferenzen festzulegen.

Es wäre aber falsch, zu glauben, das Unternehmen könne den Datenschutz allein mit Regelungen und Bestimmungen regeln, ergänzt Stefan Allmendinger. „Eine Kontrolle gibt es dabei eigentlich nicht“.

Alexander Sommer hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Ich muss dem Unternehmen beim Thema Datenschutz immer wieder erklären, was ihm die Vorsorge bringt.“ Datenschutz und Compliance seien Maßnahmen, in die man investieren müsse, um in Zukunft mögliche Probleme erst gar nicht aufkommen zu lassen. „Ein Bußgeld schmerzt das Unternehmen am meisten“, so die Erfahrung des Juristen.

Bettina Backes beschäftigte sich gerade in letzter Zeit sehr viel mit Datensicherheit, Datenpannen und Hackerangriffen in Unternehmen. Ihre Erfahrung: Nicht nur die IT-Hard- und Software muss immer auf dem neuesten Stand sein. Gerade der menschliche Faktor spiele bei der IT-Sicherheit eine zunehmend größere Rolle, so dass regelmäßige Schulungen der Mitarbeiter oben anstehen sollten. Zum Beispiel: Wie geht man mit Spam-Mails um...?

Hat eigentlich Betriebsspionage zugenommen, will Heimo Fischer am Ende der Veranstaltung von den Experten wissen? „Es ist ein Thema, auf das die Unternehmensleiter heute ein besonderes Augenmerk richten“, so Simon Beier. Vor allem müssten sich die Verantwortliche heute viel detailierter mit diesen Themen auseinandersetzen, wenn sie im Unternehmen Technik einsetzen. Die Bilanz nach zwei Stunden intensiver Diskussion: die Digitalisierung der Gesellschaft und Unternehmen bringt zwar neue Herausforderungen. Deshalb müsse aber das juristische Rad nicht neu erfunden werden.