"Region muss auf Gaspedal treten“


Paradigmenwechsel. Beim Wohnungsbau fährt die Region Stuttgart immer noch mit angezogener Handbremse. Der Chefplaner vom Verband Region Stuttgart wünscht sich durchschlagende Anreizinstrumente.

Als vor Kurzem eine Delegation aus Mumbai Stuttgart besuchte, fragte einer der Besucher beim Blick aus dem Fenster im achten Stock der Wirtschaftsförderung der Region, wo denn eigentlich die Stadt sei. – Um diese Aussage zu verstehen, muss man wissen, dass die Einwohnerdichte der indischen Hafenstadt mit 20
680 Einwohnern pro Quadratkilometer rund sieben Mal so hoch ist wie die der Landeshauptstadt (2954 Einwohner pro Quadratkilometer).



Im Interview erklärt Thomas Kiwis, wie der Wohnungsbau in der Region forciert werden könnte.

„Die einzige Möglichkeit, bezahlbaren Wohnraum in Stuttgart und der Region zu schaffen, ist weiter zu verdichten“, sagt auch Thomas Kiwitt. Die Planungsvorgaben des Regionalverbandes sind eindeutig: Mindestens 90 Einwohner pro Hektar ist die Dichtevorgabe für die Wohnungsbauschwerpunkte in der Region.

„Wir haben unsere planerischen Hausaufgaben gemacht. Nüchtern betrachtet haben wir in der Region rund 75 Prozent der Fläche nicht bebaut, und darauf ließe sich sofort Wohnraum für 110
000 Menschen in der Region schaffen“, gibt sich Thomas Kiwitt selbstbewusst. Die Flächen seien ausgewiesen, sogar gültige Bebauungspläne bestünden. Warum die Flächen für den Wohnungsbau nicht abgerufen werden, hat vielschichtige Ursachen, so der Regionalplaner. Angefangen von veränderten städtebaulichen Vorstellungen, über Bedenken des Naturschutzes bis hin zu komplizierten Eigentumsverhältnissen. „Der Verband Region Stuttgart ist bereit, mit den Kommunen in einem unkomplizierten Verfahren auch Alternativen zu sondieren und zuzulassen“, bekräftigt Kiwitt.

Die Zeit drängt, denn die gute Konjunktur spült immer mehr Arbeitskräfte nach Stuttgart und in die Region, was zu zusätzlichem Wohnraumbedarf führt. Die regionale Bevölkerungsentwicklung in der Vergangenheit habe immer den Konjunkturverlauf abgebildet. „Wer zu uns kommt, muss schon heute die Wohnung nehmen, die er kriegt“, formuliert Kiwitt die Folgen des positiven Konjunkturverlaufs. Er stellt aber auch fest, dass vielen die Erreichbarkeit ihres Jobs wichtiger sei als die Postleitzahl.

„Wer in der Stuttgarter Innenstadt arbeitet, dem ist es egal, ob er in Fellbach oder Ditzingen wohnt.“ Die Pendlerzahlen zeigten, dass 75 Prozent der Menschen in der Region nicht in ihrer Wohngemeinde arbeiteten.

Dass drei von vier Arbeitnehmern auf dem Weg mindestens eine Gemarkungsgrenze überquerten mache auch deutlich, dass es falsch wäre, beim Thema Wohnen die Stadtmauern hochzuziehen, wie es sich manche Kommune insgeheim wünsche. Andererseits nütze es auch niemandem, zwar bei den Wohnkosten zu sparen, dafür aber zwei Autos unterhalten zu müssen, um von A nach B zu kommen. Deshalb müsse auch die regionale Infrastruktur im Auge behalten werden.

Thomas Kiwitt warnt aber auch davor, aufgrund des steigenden Wohnungsbedarfs in unkontrollierten Aktionismus zu verfallen: „Diese Region verträgt keine Zufallsstandorte. Wir brauchen klare Konzepte, die die Bedarfe an Wohnraum und an Gewerbeflächen decken.“ Dafür müssten jeweils die besten Standorte gefunden werden, unabhängig von den Einzelinteressen der Kommune.

„Die Region Stuttgart ist eine Solidargemeinschaft, aus der sich keiner herausstehlen kann.“ Wenn irgendwann nur noch Einzelinteressen im Vordergrund stehen, werden nur noch die Standorte ins Auge gefasst, die realisiert werden können. Und das sind dann nur noch die zweit- oder drittbesten und manchmal auch die schlechtesten. Siedlungsentwicklung sollte aber immer dort angeboten werden, wo es auch vertreten werden kann, so Kiwitts Standpunkt.

Wie weit die Vorstellungen der Regionalplanung von der Realität derzeit noch entfernt sind, zeigt die Suche nach Flächen für große Industrie- und Logistikflächen in der Region. „Wir sehen uns neuen Herausforderungen gegenübergestellt“, beschreibt Thomas Kiwitt die jahrelangen Bemühungen der Region, im Speckgürtel von Stuttgart mehr Platz für Logistikansiedlungen zu schaffen.

„Wir stellen in den Kommunen aber auch einen Paradigmenwechsel fest.“ Bislang fungierte der Regionalverband eher als Bremse, in dem er allzu wachstumsorientierte Kommunen auch schon mal in ihre Grenzen verwies. „Die meisten Kommunen wollten heute gar nicht mehr um jeden Preis wachsen. Und für neue Wohngebiete oder großflächige Gewerbegebiete ließen sich kaum noch Mehrheiten finden.

Wir brauchen heute durchschlagende Anreizinstrumente, um in der einen oder anderen Kommune das Thema auf den Tisch zu bringen.“ Denn die ordnungspolitischen Instrumente versagten, wenn die aktuellen Probleme auf dem Wohnungsmarkt und im Gewerbebereich gelöst werden sollen.

Das werde nur funktionieren, wenn die Region auf das Gaspedal tritt, glaubt Kiwitt. Wie das aussehen könnte, weiß der Regionalplaner noch nicht so genau. Mögliche Maßnahmen zur Unterstützung der Gemeinden sollen aber in einer Fachveranstaltung am kommenden Freitag vorgestellt und in der Regionalversammlung am 20. Juli diskutiert werden.