Kommunen nicht alleinlassen


Preiswert wohnen. Städte wie Stuttgart platzen aus allen Nähten – entsprechend hoch sind die Wohnungsmieten. Die Kommunen in der Region könnten preiswerten Wohnraum schaffen, doch sie fürchten Folgekosten.


„Der Mangel an preisgünstigen Wohnungen kann nur mit der Region gelöst werden“ – ein Satz, der in den zurückliegenden Jahren immer mal wieder von Politikern unterschiedlichster Couleur in den Mund genommen wurde, wenn es um Lösungsvorschläge ging, wie eines der drängendsten Probleme der Landeshauptstadt gelöst werden könnte.



Im Video erläutert Thomas Kiwitt die Probleme bei der Ausweisung von preiswertem Wohnraum in der Region Stuttgart.


Thomas Kiwitt, seit über zehn Jahren Chefplaner der Region Stuttgart, ist da schon skeptischer. „Wenn wir in den Nachbargemeinden mit unseren Problemen Akzeptanz finden wollen, dann muss man auch dafür sorgen, dass die Infrastruktur mit der Bevölkerungsentwicklung mitwächst.“ Dieses Problem sei bei all den Diskussionen bislang vollkommen außer Acht geblieben.

Um vor allem preisgünstigen Wohnraum in den Städten zu schaffen, hat Wirtschaftsministerin Nicole Hofmeister-Kraut die Wohnraum-Allianz ins Leben gerufen. „Die Not wird immer größer“, sagt sie. „Wenn Sie sich mal die Zuwanderung anschauen, die Bevölkerungsprognosen und die den Zahlen für die Baufertigstellungen gegenüberstellen, kriegen sie Sorgen. Es läuft derzeit krass auseinander“, nimmt der Regionalplaner kein Blatt vor den Mund. Um von einem funktionierenden Wohnungsmarkt zu reden, bräuchte die Region wenigstens einen Wohnungsüberhang von drei Prozent. „Die zwei, drei Hektar, die mal da, mal dort entstehen, das ist doch kein Befreiungsschlag.“ Thomas Kiwitt sieht die Region beim Thema Wohnen nicht mehr weit weg von Münchner Verhältnissen. Dort gibt es praktisch keinen Mietmarkt mehr. Auch wenn es immer schwierig sei, regionale Besonderheiten über einen Kamm zu scheren.

Hamburg habe es da einfacher. Von der Bevölkerungsdichte etwa so groß wie die Region Stuttgart, gebe es nur einen zuständigen Bürgermeister. Und der könne beim Thema „Wohnen und Infrastruktur“ durchregieren. „Bei uns sind die Zuständigkeiten verteilt: Das Land stellt die Infrastruktur, die Kommunen das Baurecht und der Verband Region Stuttgart ist zuständig für Teile des Nahverkehrs und die Regionalentwicklung.“ Dadurch gebe es Reibungsverluste.

Damit sich etwas ändert, müsste man darüber diskutieren, wie man das Mehr an Belastungen für einzelne Kommunen besser ausgleichen könnte, denkt der Regionalplaner laut nach. „Deshalb ist Gemeinderäten in der Regel ihre eigene Kommune näher als die Region.“ Zwar werden die regionalen Belange noch mit Blick auf die eigenen Kinder verstanden, spätestens aber bei abstrakteren Themen wie Arbeitsplatz, demografischem Wandel oder dem Zuzug seien viele Kommunalpolitiker der Meinung, dass das nicht ihr Problem sei.

„Das ist kein Egoismus“, nimmt Kiwitt die Gemeinderäte in Schutz. Es fehlten einfach vernünftige Ausgleichmechanismen. „Wenn Sie Gemeinderat einer kleinen Gemeinde sind und sich aussuchen können, ob sie Gebiete für Einfamilienhäuser oder billigen Wohnraum ausweisen, werden sich die Kommunen immer für die Einfamilienhäuser entscheiden.“ Das liege daran, das diejenigen, die sich heute den günstigen Wohnraum zur Miete leisten, im Alter der Gemeinde zur Last fallen könnten, weil sie sich dann von ihrer Rente diese Miete dann auch nicht mehr leisten können. Deshalb sei es zu einfach zu sagen, die Kommunen in der Region müssten die Probleme der Großstädte mittragen.

Derzeit biete die Region noch ein sehr kleinteiliges Mosaik zwischen Wohnen und Arbeiten. „Bei uns finden sie selbst an den Rändern der Region noch Weltmarktführer mit attraktiven Arbeitsplätzen. Das sei in den meisten Ballungsräumen anders. Deshalb lägen die durchschnittlichen Pendlerdistanzen bei unter 15 Kilometern. Das sei halb so viel wie in Hamburg oder Berlin. Aber auch diese Struktur komme zunehmend abhanden. Viele Kommunen haben nicht nur Vorbehalte gegen die Ausweisung von Wohnraum, sondern auch die Bereitschaft für die Ausweisung von Gewerbeflächen nehme ab, wie die jüngsten Diskussionen in der Region um die Ausweisung von interkommunalen Gewerbegebieten zeige.

Doch selbst wenn die Kommunen von heute auf morgen grünes Licht gäben, wird man vor dem Jahr 2022, von heute an gerechnet, keine Resultate sehen. Denn bis Entwürfe erstellt und Bürgerbeteiligungen durchgeführt würden, gingen bis zu fünf Jahre ins Land. Allein die notwendige Betrachtung des Artenschutzes dauere eine Vegetationsperiode. „Und solange geht gar nichts“, sagt Kiwitt.

Während sich die Politiker den Wohnungsmangel auf die Fahnen geschrieben haben, scheint das Thema bei denjenigen, die in den begehrten Städten eine Wohnung gefunden haben, längst nicht so wichtig zu sein. Gefragt, ob sie denn bereit wären, zugunsten zusätzlichen Wohnraums auf Freiflächen in ihrer Umgebung zu verzichten, antworten die Befragten im Rahmen einer Studie des Regionalverbandes vorwiegend mit Nein. „Die stehen ja auch samstags nicht in der Schlange und müssen sich eine Wohnung suchen“, erklärt sich der Regionalplaner das Ergebnis. Ingo Dalcolmo