Fehlende Planungssicherheit


Baurecht. Weil in Stuttgart ein Drittel aller Bebauungspläne ungültig ist, kann jede bauliche Veränderung in diesen Bereichen zu einer Einzelfallentscheidung werden. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Planung.

In der Landeshauptstadt sind rund ein Drittel aller 4589 Bebauungspläne (Stand November 2018) nichtig. Betroffen davon sind aktuell 1601 Bebauungspläne, die zwischen 1947 und 1969 erstellt wurden. Ihnen fehlt die Rechtsgrundlage, weil zum damaligen Zeitpunkt viele Kommunen fälschlicherweise davon ausgingen, dass es sich bei einem Bebauungsplan um eine Verwaltungsvorschrift handelt. Da ein Bebauungsplan aber eine Satzung ist, sind alle damals verabschiedeten Pläne ungültig, da sie in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen wurden. Bekannt ist das schon seit dem Jahr 1973.



Im schlimmsten Fall heißt das für einen Immobilienbesitzer, dass sein Gebäude oder Grundstück im Bauverbot steht. Zwar muss deshalb niemand sein Haus abreißen oder Konsequenzen fürchten, betroffene Immobilien dürfen aber auch nicht mehr verändert werden. „In der Konsequenz heißt das, dass jede bauliche Veränderung zu einer Einzelfallentscheidung wird. Die Planungssicherheit, die ein Bebauungsplan eigentlich bieten soll, ist damit hinfällig“, erklärt Thomas Herrmann, Sprecher der fünf Stuttgarter Kammerbezirke der Architektenkammer Baden-Württemberg. Insofern seien immer Befreiungen notwendig. „Und die müssen dann mit der jeweiligen Kommune ausgehandelt werden. Das bedeutet für den Investor, dass er nie weiß, wo die Reise endet“, erläutert der Kammersprecher. Für die Kommunen seien die so entstandenen rechtlichen Spielräume allerdings eine der wenigen Möglichkeiten, Einfluss auf die architektonische und städtebauliche Qualität von Bauvorhaben zu nehmen.

Thomas Herrmann räumt ein, dass die fehlende Planungssicherheit für den Bauherrn sehr ärgerlich sein kann und unter Umständen Bauvorhaben auch verzögern kann. Deshalb sei es für die Architekten wichtig, in einem möglichst frühen Stadium im Gespräch mit den beteiligten Ämtern zu einem belastbaren Ergebnis zu kommen, so der Kammersprecher. Das sei zwar in Stuttgart schon besser geworden, trotzdem sei noch viel zu tun. „Ich wünsche mir, dass Entscheidungen weniger nach Gutdünken als mit größtmöglicher Transparenz erfolgen.“ Dazu kann aus Sicht von Thomas Herrmann der mittlerweile eingerichtete Gestaltungsbeirat einen wichtigen Beitrag leisten. Für den Kammersprecher sind auch Rahmenpläne ein sinnvolles Instrument. Darunter wird ein informelles Planungsinstrument verstanden. Er ist nicht rechtsverbindlich und ordnet sich zwischen dem Flächennutzungsplan und der Bebauungsplanung ein. Diese Rahmenpläne dienen dann als Richtschnur für den Umfang von Befreiungen und Abweichungen von geltenden, aber sachlich überholten Bauvorschriften.

Dass die Landeshauptstadt in den zurückliegenden 45 Jahren das Thema mehr oder weniger hat ruhen lassen, liegt an dem hohen Änderungsaufwand. So müssten alle beanstandeten 1601 Bebauungspläne neu aufgelegt werden, da die meisten Pläne aus der damaligen Zeit nicht mehr der heutigen Zeit des Bauens, geschweige denn der Landesbauordnung entsprechen. So schätzte das Stadtplanungsamt schon im Jahr 1988, dass es zwischen 80 und 160 Jahre dauern würde, alle fehlerhaften Bebauungspläne in Stuttgart aufzuheben.

Auch wenn diese Behauptung sicher übertrieben sei, bezweifelt der Sprecher der fünf Kammerbezirke, ob eine Aufhebung der fehlerhaften Bebauungspläne schnell zu mehr Wohnraum führen würde, zumal sich ein neues Bebauungsplanverfahren aufgrund der zunehmenden Vorschriften und Beteiligungsverfahren über Jahre hinziehen könnte und selbst dann nicht gewährleistet sei, dass es besser werde.