Mehr Kreativität und Mut


Trends. Um dem Wohnungsmangel in den Städten zu begegnen, braucht es in der Stadtplanung mehr Kreativität und Mut, auch Unbekanntes auszuprobieren.

Baugrund ist in der Region Stuttgart knapp und macht das Wohnen entsprechend teuer. Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, fordert deshalb von Stadtplanern, Bauherren und Architekten mehr Ideenreichtum. „Es ist utopisch und wäre auch nicht mehr zeitgemäß, sämtlichen fehlenden Wohnraum über die Erschließung bisher unversiegelter Gebiete zu lösen“, sagte er jetzt auf dem zweiten Landeskongress für Architektur und Stadtentwicklung Archikon 2018.




Im Video erläutert Markus Müller, Präsident der Architektenkammer, warum Kreativität in der Stadtplanung wichtig ist.


Zwei Zahlen sollen das verdeutlichen: Würde man die aktuell fehlenden 88 000 Wohnungen in Baden-Württemberg (Prognos-Studie Oktober 2017) durch Einfamilienhäuser realisieren, würde eine Netto-Wohnbaufläche von 4190 Hektar benötigt. Das entspricht etwa der Stadtfläche von Ludwigsburg. In verdichteter Bauweise mit fünfgeschossigen Mehrfamilienhäusern wäre nur eine Fläche von 628 Quadratmetern erforderlich. In die gleiche Kerbe schlägt auch Professor Dietmar Eberle. Der international renommierte Architekt kommt in seinen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Stadt der Zukunft von baulicher Dichte, durchmischten Nutzungen und Fußläufigkeit für den alltäglichen Bedarf geprägt sein wird. Seine Forderung auf dem Archikon-Kongress: „Bebauen Sie jene Flächen, die schon dicht bebaut sind.“ Diese Ausweitung von Kernstädten und Gebieten führe die Stadtplaner zu dem Benutzen untergenutzter Areale mit hervorragenden infrastrukturellen Voraussetzungen. Die Lücken und Restflächen in diesen Arealen stellten jene überproportional großen Flächenreserven dar, die sowohl ein quantitatives als auch ein qualitatives Wachstum zuließen, so der Experte auf Archikon.


Markus Müller wird deutlicher: „Wir müssen jetzt über Dinge reden, über die wir bislang nicht nachgedacht haben.“ Dazu gehöre, den Wert der Flächen überhaupt zu erkennen und deren Ausnutzung zu optimieren. Das erfordere auch von den Stadtplanern und Architekten eine ganz andere Herangehensweise. „Dazu gehört auch, sich darüber klar zu werden, welche Bedeutung die jeweilige Fläche für die Gesamtstadt hat und für welche Nutzung sie am besten geeignet ist.“ Eine Stadt bestehe ja nicht nur aus Häusern und Beton, sondern in erster Linie aus Menschen und sozialer Interaktion. „Wohnen, Handel und Produktion müssen wieder als Gesamtheit gesehen werden“, so Markus Müller.


Doch die Nachverdichtung in den Städten hat ihre Grenzen, räumt auch der Kammerpräsident ein. „Dichte ohne bauliche oder Freilandqualität ist grausam und unmenschlich. Wir wollen eine Nachverdichtung in den Städten schaffen, bei der das innerstädtische Zusammenleben wieder Spaß macht und wertvoll ist.“
Dazu gehört auch, zu einem neuen Selbstverständnis von Nachhaltigkeit in der Architektur zu kommen. „Die heutigen Trends seien alles andere als nachhaltig“, kritisierte etwa Professor Ernst Ulrich von Weizäcker, Co-Präsident des Club of Rome. Markus Müller sieht dabei die gesamte Gesellschaft in der Pflicht. „Derzeit reden alle vom Klimaschutz, aber nur diejenigen bezahlen die Kosten, die als Bauherr ein Gebäude neu errichten oder im Bestand sanieren.“ Deshalb müssten die Förderquoten deutlich gesteigert werden und klimaschädliche Energieproduktionen stärker bepreist werden.


„Die gestaltende Kreativität der Architekten verbindet die Ziele der Energiewende mit denen der Baukultur. Nur so wird Nachhaltigkeit erreicht“, formulierte Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, auf dem Kongress. Doch mit der Umsetzung hapert es noch. „Die Nachhaltigkeit ist in der Immobilienwirtschaft nicht angekommen. Niemand fragt uns nach einem nachhaltigen Haus“, bringt es der Münchner Architekt Amandus Samsoe Sattler auf den Punkt. Nachhaltigkeit könne nur dann zu einer erfolgreichen Bewegung werden, wenn es auch für den Betrachter erkennbar und erlebbar werde.


Rund 1300 Teilnehmer informierten sich auf Archikon 2018 über Strategien zur Nachhaltigkeit und die Zukunft des Architektenberufs. Einig waren sich die Besucher, dass Architekten und Stadtplanern eine Schlüsselrolle für die künftige Entwicklung der Städte zukommt. Archikon in Stuttgart ist bundesweit der größte Architekturkongress und findet alle zwei Jahre statt.