Funklöcher sind schlimmer als Schlaglöcher

Netzwelt. EU-Kommissar Günther Oettinger hat an die Kommunen in Baden-Württemberg appelliert, mehr Geld in die digitale Infrastruktur zu investieren.

Auf dem Sommerlichen Empfang der Architektenkammer Baden-Württemberg kritisierte der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, dass vielen Kommunen gerade im ländlichen Raum die Ortsumgehungsstraße oder das Dorfgemeinschaftshaus oft wichtiger sei, als in die digitale Infrastruktur zu investieren.



„Den Bürgermeistern im ländlichen Raum kann man sagen, dass sie lieber Schlaglöcher als Funklöcher ertragen sollen. Schlaglöcher hält der Stoßdämpfer aus, Funklöcher verderben das Geschäft“, sagte der EU-Kommissar.

Der Wert einer Immobilie werde zunehmend immer weniger vom Blick auf den Bodensee oder der Nähe zur Autobahn geprägt sein als von dem Umstand, ob man online oder offline, langsames oder schnelles Internet habe. Und auch ein Architekturbüro werde künftig in einem Funkloch nicht mehr überlebensfähig sein. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, brauche das Land leistungs­fähige Netzkapazitäten. Das Glasfaserkabel muss mittelfristig das Kupferkabel ersetzen. Nur so lassen sich auch die hohen Über­tragungsraten im Breitbandnetz realisieren. Außerdem stehe die fünfte Mobilfunkgeneration in den Startlöchern. Das alles dürfe sich aber nicht nur auf die Metropolen und die Flughäfen konzentrieren. „Wir brauchen eine flächendeckende Infrastruktur in Baden-Württemberg, so Oettinger vor rund 600 geladenen Gästen im Haus der Architekten in Stuttgart.

Für die Architekten ist die zunehmende Digitalisierung aber derzeit noch ein zweischneidiges Schwert. Einerseits schreitet die Digitalisierung immer weiter voran, andererseits sind viele Fragen vor allem im digitalen Zusammenspiel mit anderen Prozessbeteiligten noch vollkommen offen. Stichwort BIM Building Information Modeling. Dabei arbeiten alle am Planen und Bauen Beteiligte mit einem gemeinsamen 3-D-Modell. „Auch wenn es noch etwas dauern wird, bis diese Arbeitsweise zum Planungsalltag gehört, bewerten wir den Prozess positiv und arbeiten an einer sinnvollen Implementierung von BIM mit“, äußerte sich Markus Müller, der Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, anlässlich des Sommerlichen Empfangs.

Der Architektenkammer geht es nach den Worten von Markus Müller vor allem darum, die mittelständische Bürostruktur in Baden-Württemberg zu erhalten und die Kammermitglieder davor zu bewahren, ihr komplettes Wissen über das digitale Modell ungeschützt weitergeben zu müssen und so zur verlängerten Werkbank degradiert zu werden.

Ein schwieriges Thema ist nach wie vor die von der Europäischen Kommission angestrebte Reform der HOAI Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. Ihr Argument: Die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI würden sowohl die Niederlassungsfreiheit behindern als auch die Möglichkeit, Preise frei zu vereinbaren. Und das verhindere quasi Wachstum. „Das ist Deregulierung um der Deregulierung willen“, so Markus Müller. Nicht Architektur generiere Bautätigkeit, sondern wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die Bauherren in die Lage versetzen, in Gebäude zu investieren. „Nicht die Honorarordnung ist ein Zugangshindernis für ausländische Architekten auf dem deutschen Markt, sondern eher Sprachunterschiede, unterschiedliche Baunormen und Gesetze. Es scheint, dass der Blick für begründete nationale Regelungen verloren gegangen ist“, so der Kammerpräsident.

Der EU-Kommissar zeigte Verständnis für die Haltung der Architekten. „Sie müssen dartun, dass ein Preiswettbewerb nach unten auch eine Qualitätsverschlechterung ist. Und ich sage ihnen vorsichtig, dass die Bundesregierung sie dabei nur sehr eingeschränkt unterstützt. Nur pflichtgemäß, aber kein bisschen mehr.“ Günther Oettinger glaubt indes, dass letztendlich in Sachen Honorarordnung die Richter am Europä­ischen Gerichtshof das letzte Wort haben werden. Nach dem Brexit ist für Günther Oettinger das europäische Projekt erstmals in Lebensgefahr. „Europa braucht sie. Weil sie nicht Stuttgarter, sondern auch Europäer sind“, appellierte er an die Gäste. Als größte europäische Volkswirtschaft müsste gerade Deutschland das Projekt Europa viel stärker vertreten. „Es geht nicht nur darum, die S-Klasse zu exportieren, sondern auch Werte.“

Die Freien Berufe sind dabei ein wesentlicher Eckpfeiler, merkt Markus Müller an. So wird im Oktober eine Delegation der Architektenkammer Baden-Württemberg den Präsidenten der ArchitektenkammerIstanbul besuchen. Im Mai war Kammerpräsident Sami Ilmaztürk mit 14 weiteren Kammermitgliedern aus politischen Gründen verhaftet und das Gebäude der türkischen Architektenkammer in Istanbul beschlagnahmt worden.