Statt Paketband Vorhang auf


Staatstheater. In fünf Jahren könnte im alten Paketpostamt in Stuttgart der erste Vorhang für Oper und Ballett fallen. Doch bis es soweit ist, gibt es noch viel zu tun. Ein Besuch am künftigen Interimsstandort.

Dass die Oper Stuttgart und das Stuttgarter Ballett hier in ein paar Jahren „Don Giovanni“ und „Schwanensee“ geben werden, ist im Moment nur schwer vorstellbar. Von außen sieht die aus den 70er Jahren stammende Fassade des alten Paketpostamtes in Stuttgart hinter dem Hauptbahnhof mit ihren Rampen wie eine in die Jahre gekommene Spedition aus.



Im Innern der ehemaligen Logistikhalle der Deutschen Post skizziert Marc-Oliver Hendriks, Geschäftsführender Intendant der Staatstheater Stuttgart, beim Lokaltermin, wie am künftigen Interimsstandort der Opern- und Ballettbetrieb ablaufen könnte. „Wir werden hier nicht auf Sparflamme spielen“, macht er unmissverständlich deutlich. Das Interim habe den Zweck, den Opern- und Ballettbetrieb auf einem gewohnt hohen Niveau zu führen, bis die Sanierung des Opernhauses abgeschlossen sei. Er rechnet mit fünf bis sechs Jahren.

Die geplante Sanierung stellt die Staatstheater vor große logistische Herausforderungen. Während der Baumaßnahmen müssen für den Interimsbetrieb von Oper und Ballett rund 35
000 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Neben den für die Besucher sichtbaren Flächen wie Bühne, Tribüne, Kassen- und Garderobenbereich gehören dazu auch Werkstätten und Lagerräume, da im Zuge der Sanierung das bisherige Kulissengebäude abgerissen und erneuert werden soll. Rund 1000 Arbeitsplätze sind von den Sanierungsmaßnahmen direkt betroffen. „Im Vergleich zur Sanierung des Schauspielhauses ist das eine ganz andere Dimension“, sagt der Intendant respektvoll.

Marc-Oliver Hendriks führt die Journalistengruppe in die Mitte der Halle. Die ehemalige Halle hatte das Land eigentlich für die Aufnahme von Flüchtlingen angemietet. Doch dann wurde sie doch nicht benötigt. Übrig blieben Schaumstoffmatrazen und Biberbettwäsche. Der Intendant klatscht in die Hände. Ein, zweimal. Die Akustik sei gut. Das habe man auch schon getestet. Definitiv wisse man das aber erst dann, wenn die Tribüne aufgebaut sei. „Ungefähr hier, im Zentrum der Halle, soll sie errichtet werden“.

Rund 1200 bis 1400 Plätze sind geplant, mit je zwei Mittel- und Quergängen. Davor werde der Orchestergraben eingelassen. Platz ist genug vorhanden. „Wir müssen die Bühnenbilder aus dem Opernhaus ja mitnehmen“, sagt der Intendant.

Um die technischen Anlagen aufzunehmen, müssen für den Bühnenturm mehrere Lamellen des Daches geöffnet werden. Im Bühnenturm werden die Bühnenbilder zwischen verschiedenen Produktionen und auch innerhalb einer Aufführung nach oben hin ausgetauscht. Aufführungen wie beispielsweise die großen Cranko-Ballette ließen sich ohne diese Technik nicht realisieren, erklärt Marc-Oliver Hendriks. Platz hat der Kulturbetrieb im alten Paketpostamt genug. „Ein Stück weit werden wir die Besucher hier mit den luftigen Zuständen verwöhnen. Das erkaufen wir uns mit einer gewissen Herbheit der Oberflächen, die aber auch den Charme dieses Gebäudes ausmachen.“

Zugleich will man versuchen, aus Kostengründen möglichst viele Geräte und Vorrichtungen der Bühnentechnik aus dem Opernhaus mitzunehmen. „Es macht keinen Sinn, hier im alten Paketpostamt eine unnötig teure Infrastruktur aufzubauen, die wir in das sanierte Opernhaus nicht integrieren können“, sagt Hendriks. 

Was genau die Umwandlung des alten Paketpostamtes in einen Opern- und Ballettbetrieb kosten soll, wird derzeit durch die Staatliche Bauverwaltung ermittelt. „Die Kosten sind sehr abstrakt und für den Einzelnen schwer greifbar“, erklärt Hendriks auch mit Blick auf die Gesamtkosten der Sanierungsmaßnahmen der Oper von bis zu 400 Millionen Euro. Andererseits: Selbst die Sanierung des Theaters und der Oper in Augsburg kostet schon 200 Millionen Euro. In Frankfurt ginge man gar auf eine Milliarde zu. Die Ausgaben für die Sanierung des Opernhauses in Stuttgart sollten daher stets ins Verhältnis zu anderen Referenzbeispielen gesetzt werden, relativiert der Geschäftsführende Intendant die ermittelte Summe. Die spezielle Infrastruktur für einen Theaterbetrieb sei grundsätzlich kostenträchtig. Dennoch dürfe man bei allen finanziellen und haushälterischen Aspekten nicht vergessen, dass der öffentliche Auftrag für die Staatstheater Stuttgart als immerhin drittgrößter Theaterbetrieb der Welt auch eine Verpflichtung darstelle. 

„Wir können nur versuchen, den Bedarf zu beschreiben, die Notwendigkeit zu erklären und mit den entsprechenden Baukosten zu verknüpfen, um in der Öffentlichkeit Verständnis für diese Größenordnungen zu erreichen.“

Trotz aller Sparsamkeit, ein Risiko bleibt: die Betriebskosten. „In der Türlenstraße, seinerzeit die Interimsspielstätte für das Schauspiel, war die Endabrechnung für Strom und Heizung die große Unbekannte“, erinnert sich Hendriks. Am Ende sei es aber nicht so katastrophal gewesen, wie man befürchtet hatte. Auch im alten Paketpostamt könnten die Betriebskosten eine andere Dimension haben als aktuell im unsanierten Opernhaus.

Nach rund zwei Stunden Führung durch das alte Paketpostamt lichtet sich der Vorhang und man kann sich gut vorstellen, wie Don Giovanni singt: „Reich’ mir die Hand mein Leben ,Komm’ auf mein Schloss mit mir; Kannst du noch widerstreben? Es ist nicht weit von hier...“