Detroit als Schreckgespenst



Gewerbeflächen. Wenn die Region Stuttgart nicht handelt, könnte ihr in einigen Jahren der gleiche Abstieg wie der einst stolzen Autostadt Detroit drohen. Schon einmal stand die Region auf der Kippe.


„Die Situation ist ernst“, sagt Dr. Walter Rogg. Der oberste regionale Wirtschaftsförderer blättert in einer internen Studie der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart WRS zu den Gewerbe- und Industrieflächen Region Stuttgart 2017. In den zurückliegenden Monaten wurde jede gewerblich nutzbare Fläche in den 179 Kommunen der Region von den Mitarbeitern auf den Prüfstand gestellt.



Das Ergebnis ist ernüchternd: Sofort verfügbar sind insgesamt gerade einmal 97 Hektar an Industrie- und Gewerbeflächen. Nachgefragt werden aber jedes Jahr im Durchschnitt 106 Hektar in der Region – und das nur von Firmen, die bereits in der Region ansässig sind und erweitern müssen.

Die Studie prognostiziert in der Region Stuttgart für die Jahre 2017 bis 2020 einen Gewerbe- und Industrieflächenbedarf von 160 Hektar jährlich. Der Innenentwicklungsanteil liegt danach bei rund 30 Prozent. Der jährliche Anteil an neuen Gewerbeflächen liegt laut Studie bei 110 Hektar. Die Herausforderung bestehe darin, dass insbesondere der Fahrzeug- und Maschinenbau neben Flächen für die aktuelle Produkton parallel auch Flächen für neue Technologien und neue Produktionsverfahren benötige, so der Wirtschaftsförderer.

„Wir sind ein Opfer des Erfolgs“, analysiert Walter Rogg auch die aktuelle Studie der Industrie- und Handelskammer zur Attraktivität der Region. Danach verließen erstmals mehr Unternehmen die Region Stuttgart als neue hinzukamen. Ein Grund: der Mangel an Gewerbeflächen. Für den Wirtschaftsförderer spricht die Studie aber auch für einen boomenden Wirtschaftsstandort, in dem großes Wachstum und niedrige Arbeitslosigkeit herrschen. „Wir sind keine Wirtschaftsregion im Niedergang, sondern eine Region, die mit ihrem großen Wachstum Fragen aufwirft, auf die man Antworten finden muss“. Natürlich hätte man die Grenzen des Wachstums schon viel früher stärker thematisieren können. „Es ist aber illusorisch zu glauben, einen einmal erreichten Stand zu halten. Entweder die Region wächst weiter oder man fällt zurück“, räumt Rogg ein und erinnert an die US-amerikanische Autostand Detroit, die ihren Niedergang hätte aufhalten können, hätte man rechtzeitig auf die strukturellen Veränderungen reagiert.

Die Region Stuttgart ist nicht der einzige Wirtschaftsraum, der mit diesen Problemen aktuell zu kämpfen habe. Anderen wirtschaftsstarken Regionen in Deutschland und Europa gehe es derzeit ähnlich. „Aber auch die haben keine Zauberlösung“. Die aktuelle Situation in der Region Stuttgart erinnert Walter Rogg an ein Déjà-vu.

Als es in den 90er Jahren im Fahrzeugbau eine große Krise gab, fielen quasi über Nacht in Baden-Württemberg über 200
000 Arbeitsplätze weg. Allein die Hälfte davon in der Region Stuttgart. „Das hat uns damals besonders hart getroffen“. Aus der Not heraus entstand die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart. Es brauchte damals eine verbindlichere Form der Zusammenarbeit, erklärt der oberste Wirtschaftsförderer.

Noch brummt es in der Region Stuttgart an allen Ecken und Kanten. Trotz Dieselskandal, Feinstaubalarm und der Antriebsdiskussion scheint die Region Stuttgart eine Insel der Seeligen zu sein. „Wir müssen reagieren, solange wir noch das Geld und Zeit haben“, warnt Walter Rogg. Wie ernst es ist, steht schwarz auf weiß in der WRS-Studie: „Das aktuelle Angebot an Gewerbeflächen und die Reichweite der Flächenpotenziale in der Region Stuttgart sind auf einem sehr niedrigen Niveau angelangt, bei dem negative Folgen für das industrielle Wachstum sowie für den Bestand der regionalen Industriebasis nicht mehr ausgeschlossen werden können.“ Im Klartext: Ohne neue industrielle und gewerbliche Flächen droht der Region Stuttgart ein ähnliches Schicksal wie Detroit.

Doch eine Lösung ist in weiter Ferne. Und das liegt nicht nur an den Kommunen. Rund drei viertel der langfristig verfügbaren Flächen sind nicht im Besitz der Kommunen, sondern gehören privaten Eigentümern. Doch diese zum Verkauf ihrer Grundstücke zu bewegen, sei derzeit in Anbetracht alternativer Geldanlagen schwierig. „Wir brauchen eigentlich eine Strategie, wie man die privaten Eigentümer von gewerblich nutzbaren Flächen dazu bringt, zu verkaufen“. Viel Zeit bleibe aber nicht mehr, macht Rogg deutlich. Denn in den nächsten zwei bis fünf Jahren werden in vielen Unternehmen in der Region die strukturellen Entscheidungen gefällt. Jetzt wäre zudem der ideale Zeitpunkt, zu handeln. „Uns geht es gut, wir haben das Geld, und wir haben auch noch ein paar Jahre Zeit, die Veränderungen anzugehen.“

Leider neigten viele in der Bevölkerung dazu, den jetzigen Zustand als gottgegeben hinzunehmen. „Wir brauchen eine große Kampagne, um der Bevölkerung klarzumachen, dass wir uns jetzt bewegen müssen, bevor es zu spät ist“, so Walter Rogg. Hoffnung setzt auch die Wirtschaftsförderung auf die Internationale Bauausstellung. In den nächsten zehn Jahren könnte vieles denkbar und machbar sein, was sonst vielleicht niemals hätte realisiert werden könnte, so Rogg. „Alles brauche die richtige Überschrift und die richtige Zeit“. Ob sich jede Hoffnung erfülle, werde man am Schluss sehen. Der Wirtschaftsförderer glaubt aber, dass vieles besser als heute sein werde.