'Holzi war hier'

Investment. Seit sechs Jahren dümpelt das ehemalige IBM-Headquarter in Stuttgart-Vaihingen vor sich hin. Die Stadt hofft nach wie vor auf einen Investor, der das unter Denkmalschutz stehende Eiermann-Areal erwirbt.


Lokaltermin auf dem Gelände des ehe­maligen IBM-Hauptquartiers in Stuttgart- Vaihingen: hier kann man buchstäblich das Gras wachsen hören. Denn die letzten sechs Jahre seit dem Auszug der IBM haben ihre Spuren auf dem Grundstück hinterlassen. Zunehmend erobert sich die Natur wieder Stück für Stück des 20 000-Quadratmeter-Areals zurück. Überall wuchert üppiges Grün. An manchen Stellen haben sich die Pflanzen bereits ihren Weg durch den Asphalt gebohrt.



Der Architekt Oliver Sorg zu möglichen Planungen und dem Sanierungsaufwand

Auf dem Weg liegen drei herrenlose rote Feuerlöscher, die irgendjemand aus unerfindlichen Gründen aus dem Fenster eines der Gebäude geworfen hat, nachdem er zuvor den Inhalt in den leeren Büros mit der Botschaft 'Holzi war hier' versprüht hat. 'Doch der Vandalismus hält sich in Grenzen - auch dank der nahen Hundestaffel, die das Gelände regelmäßig bestreift', sagt Christine Kutschera von der Stadtkämmerei. Nachdem der Insolvenzverwalter im März 2014 das Gelände freigegeben hat, weil auch er die Immobilie nicht vermarkten konnte, versucht die Stadt Stuttgart nun im Rahmen ihrer ortspolizeilichen Möglich­keiten die Sicherheit und Ordnung auf dem Gelände aufrechtzuerhalten. Nach wie vor läuft das Insolvenzverfahren gegen die sechs Objektgesellschaften.

Dass sich der ehemalige Sitz der Deutschlandzentrale von IBM entgegen ersten Annahmen nur schwer vermarkten lässt, hätten auch die gescheiterten Investoren von Anfang an erkennen können, meint Professor Robert Göötz von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. 'Die Gebäude sind ein energetischer Wahnsinn und unter heutigen Nutzer­gesichtspunkten ineffizient.' Der Denkmalschutz sei ein zusätzlicher 'Dealbreaker'. Mehr als 60 Investoren soll das Areal schon angeboten worden sein. Robert Göötz versteht ohnehin nicht, dass ein derartiges Areal überhaupt unter Denkmalschutz gestellt wurde. 'Selbst nach einer Sanierung werden solche Gebäude immer ein Groschengrab bleiben', sagt er. Der Professor muss es wissen. Schließlich lehrt er an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt unter anderem Real Estate Asset Management (Verwaltung von Immobilienvermögen).

Christoph Schindelin und Ellen Pietrus vom Denkmalamt der Stadt Stuttgart haben da einen ganz anderen Blickwinkel. Für sie ist das Eiermann-Areal ein Kulturdenkmal, das es in seiner Gesamtheit schon aus öffentlichem Interesse zu erhalten gilt. Denn schließlich gilt Egon Eiermann, Architekt, Möbeldesigner und Hochschullehrer, als einer der bedeutendsten deutschen Architekten. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen neben der ehemaligen IBM-Zentrale die Gedächtniskirche in Berlin und die Olivetti-Hochhäuser in Frankfurt.

'Schauen Sie sich diese Präzision an', schwärmt Christoph Schindelin und zeigt auf die Fugen in einer der Toiletten. Hier sind selbst die Waschbecken echte Eiermänner. Die Zeit scheint in den Gebäuden stehengeblieben zu sein. So wie die Luft, die durch die Hitze der zurückliegenden Tage unangenehm geworden ist. Kein Wunder, der Strom ist schon lange abgeschaltet, der für eine Belüftung der Räume hätte sorgen können. Ansonsten machen die Räume auf den Betrachter den Eindruck, als ob nur eine Putzkolonne sich des Drecks der letzten sechs Jahre annehmen müsste - und schon könnte hier wieder gearbeitet werden. Doch dieser Eindruck täuscht. Es gibt auch Anzeichen für den Verfall, wie verschimmelte Decken, kaputte Fensterscheiben, vermooste Teppiche. Das hat der Architekt Oliver Sorg, dessen Büro SFP Architekten, Stuttgart nach dem Auszug der IBM von einem der Investoren mit der Erstellung eines neuen Nutzungskonzeptes beauftragt wurde, erst vor kurzem dokumentiert. Das wiederum hat die Architektenkammer prompt zu einem Brandbrief an die Stadt Stuttgart veranlasst, doch unverzüglich Reparaturmaßnahmen zu veranlassen. Doch der Stadt sind die Hände gebunden: 'Auf die Bausubstanz kann die Stadt aufgrund der Eigentums- und Besitzverhältnisse keinen Einfluss nehmen', sagt sie.

Wie es weitergeht, weiß derzeit niemand. Sanierung der bestehenden Gebäude oder ein möglicher Komplett- oder Teil­abriss. Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn sieht für die Radikalkur keine Notwendigkeit und stellt sich auf die Seite des Denkmalschutzes. Dazu sei das Ensemble aus wissenschaftlicher und künstlerischer Sicht zu wertvoll. Außerdem sei die Bausubstanz noch weit von einem Zustand entfernt, der eine Sanierung nicht mehr wirtschaftlich vertretbar mache. 'Die Kosten entstehen nicht, weil das Gebäude unter Denkmalschutz steht, sondern weil es sowieso saniert werden müsste. Der Kostenfaktor ist das Gebäudealter', betont zudem der Denkmalschützer Christoph Schindelin.

Dabei soll Egon Eiermann selbst nicht zimperlich gewesen sein, als es um den Abriss eines architektonischen Jahrhundertwerkes ging. Seine Kritiker werfen ihm noch heute vor, für den Kaufhausneubau von Horten in Stuttgart das berühmte Kaufhaus Schocken von Erich Mendelsohn zu Gunsten seines eigenen Bauwerkes im Mai 1960 geopfert zu haben. #


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