Wohnungsnot geht alle an



Landeskongress. Beim Thema Wohnungsmangel soll das Land endlich die Führungsrolle übernehmen, fordert die Architektenkammer Baden-Württemberg.


Markus Müller, seit eineinhalb Jahren Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, sieht man seine Freude an: Der erste Landeskongress für Architektur und Stadtentwicklung diese Woche auf der neuen Messe ist ein voller Erfolg. „Mit rund 1000 Teilnehmern haben wir unser Ziel erreicht, einen einzigartigen Branchentreff für alle am Bau Beteiligten zu schaffen“, so Markus Müller. Künftig soll der Kongress alle zwei Jahre stattfinden.


Im Video erläutert Markus Müller, der Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, welchen Beitrag die Architektur bei der Bekämpfung der Wohnungsnot im Land leisten kann.

Im Mittelpunkt des Kongresses stand die Frage, wie das „massive Defizit an guten und bezahlbaren Wohnungen“ in den Städten in absehbarer Zeit abgebaut werden könnte. „Diese Riesenaufgabe lässt sich nicht bewältigen, indem die Politik an ein paar Stellschrauben bei der Wohnraumförderung dreht“, macht Müller deutlich.

Das sei ein gesamtgesellschaftliches Anliegen und keines des Marktes allein, ergänzt Vizepräsidentin Beatrice Soltys. Hier müsse das Land eine Führungsrolle übernehmen. Die Architektenkammer regt deshalb eine Wohnungsbauplattform unter Federführung der neuen Landesregierung an, auf der neben der Politik, den Kommunen und der Wohnungswirtschaft auch Architekten und Stadtplaner vertreten sein sollten. Hier könnte dann zum Beispiel darüber gesprochen werden, welche Flächen sich im Land überhaupt für den Wohnungsbau mobilisieren ließen oder welche Strategien für eine effiziente und qualitätvolle Baulandnutzung Erfolg versprechen könnten. Mit Blick auf die aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen im Land spricht sich auch die Architektenkammer für die Bündelung der Bauverantwortung in einem Ministerium aus. „Ein erster wichtiger Schritt wäre, die Zuständigkeiten für Planen und Bauen in einem Ministerium zusammenzuführen“, resümierte der Kammerpräsident.

Eine Herausforderung für die neue Landesregierung werde aber auch darin liegen, die Finanzierungslücke im Wohnungsbau zu schließen. Derzeit würden pro Jahr 35 571 Wohnungen gebaut. Benötigt würden aber 80 000. Also fehlten rund 50 000 Wohnungen. Und das jedes Jahr. „Die Wohnraumförderung muss deutlich erhöht werden“, fordert Markus Müller. Doch gehe es keineswegs nur ums Geld, sondern vielmehr darum, die Anforderungen an die Qualität zu definieren. „Wir brauchen deshalb die Konzeptvergabe von Fördermitteln“, sagt Markus Müller. „Nicht an den meistbietenden sollten Kommunen ihr Bauland verkaufen, sondern an denjenigen mit dem besten Bebauungskonzept“, wünscht sich Fred Gresens, Vorstandsvorsitzender einer mittelbadischen Baugenossenschaft und Vorstandsmitglied der Architektenkammer. Nur so sei eine weitsichtige Stadtentwicklung heute noch möglich.

Für die neue Landesregierung liefert die Architektenkammer Baden-Württemberg auch schon mal erste Vorschläge zur Bekämpfung der Wohnungsnot im Land. So könnten für den Ankauf von Belegungsbindungen kommunale Förderprogramme ins Leben gerufen werden. Oder Gemeinden könnten in Bebauungsplänen einen Mindestanteil an gefördertem Wohnungsbau festschreiben. Darüber hinaus empfiehlt die Kammer zu überprüfen, welche der landeseigenen Immobilien für den Wohnungsbau eventuell infrage kämen. Auch könnte sich die neue „oberste Baubehörde“ darüber Gedanken machen, wie qualitätvolle Dichten im Wohnungsbau zu erreichen seien.

Die Architektenkammer hat auch schon eine Idee: So hätten viele Siedlungen, die in den 50er Jahren im Land entstanden, sicher noch ein hohes Nachverdichtungspotenzial. Die Politik dürfe aber keine Angst davor haben, auch an unliebsamen Themen zu rütteln, bevor sie überhaupt angefangen habe. „Wir brauchen jetzt einen Paradigmenwechsel, wenn wir die Wohnungsmarkt in den Griff bekommen wollen“, so Fred Gresens.

An einem wollen die Architekten und Stadtplaner aber auf keinem Fall rütteln: an der Qualität. Es sei kurzsichtig, lediglich die
Erstellungskosten von Immobilien zu vergleichen. So steige die Effizienz der Investition bei einem Gebäude erheblich, das mehr als 50 Jahre zu nutzen sei. Verglichen mit einem Container. Ingo Dalcolmo