Eine andere Kultur des Bauens


Innovation. Die Bauwirtschaft steht vor großen strukturellen Veränderungen. Die Digitalisierung erobert immer mehr Arbeitsbereiche und stellt auch im Land die Baufirmen vor enorme Herausforderungen.

Das Zauberwort der Baubranche heißt derzeit BIM. Hinter den drei Buchstaben verbirgt sich der Begriff Building Information Modelling. Dabei werden die gesamten Daten und Informationen eines Bauprojektes in Verbindung mit einem dreidimensionalen virtuellen Modell digital erfasst, um sie für alle Planungsprozesse nutzbar zu machen. Dadurch sollen Fehler und Mehr­kosten bei der Umsetzung oder bei Plan­änderungen minimiert werden. Während im Abrechnungswesen und beim Personal- und Maschineneinsatz die Digitalisierung schon längst bei den Baufirmen im Land eingezogen ist, besteht bei BIM noch ein enormer Nachholbedarf, sagt der Präsident der Landesvereinigung Bauwirtschaft Baden-Württemberg, Thomas Schleicher.



Derzeit arbeiteten in Deutschland gerade einmal 15 Prozent der Unternehmen mit BIM. Und nur fünf Prozent aller Architekten kennen sich in Deutschland mit BIM aus. Demgegenüber würden aber immer mehr ausländische Investoren mittlerweile BIM als Vergabekriterium voraussetzen. Aber auch für öffentliche Auftraggeber und große private Bauherren werde BIM immer öfter zum Qualitätsmerkmal.

Thomas Schleicher sieht diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Einerseits sei BIM ein wichtiger Faktor für die künftige Entwicklung von Baufirmen, andererseits dürfe BIM nicht nur um der BIM willen als neuer Standard gesetzt werden. „Ich bin für die Digitalisierung, aber nur dort, wo sie auch hilfreich ist, wie zum Beispiel bei der Kollisonsprüfung der Haustechnik.“

Dass BIM nicht mehr aufzuhalten ist, weiß aber auch Schleicher. Er befürchtet nur, dass die vielen kleinen Bauunternehmen auf der Strecke bleiben könnten. Denn BIM bedeutet nicht nur einen hohen finanziellen Aufwand, sondern auch eine Komplexität, die für viele kleine Betriebe gar nicht machbar sei. Mittelfristig werde BIM deshalb auch zu neuen Strukturen führen, etwa elektronischen Arbeitsgemeinschaften, um die Kosten auf mehreren Schultern zu verteilen. Aktuell habe BIM zwar noch nicht den Stellenwert, mit zunehmender Kom­plexität der Bauvorhaben dürfte der aber zunehmen.

Dieter Diener, der Geschäftsführer der Landesvereinigung Bauwirtschaft, spricht gar von einer anderen Kultur des Bauens, weil schon in der Planungsphase Bauausführende mit den Planern zusammenwirken müssen. Derzeit kein einfaches Thema, da es auch die Vergabeordnungen der öffent­lichen Hand betrifft. Zumindest sieht das Wirtschaftsministerium „großes Potenzial“ für die Bauwirtschaft. Für dieses Frühjahr ist ein Spitzengespräch zwischen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und Vertretern der baden-württembergischen Architekten, Ingenieure sowie der Bauindustrie und des Bauhandwerks geplant.

Beim Strabag-Konzern ist BIM längst angekommen. An den beiden Standorten Wien und Stuttgart arbeiten rund 50 Experten des Konzerns an BIM.5D, einer Weiterentwicklung des Building Information Modelling. Als Inspiration für dieses Projekt diente das Arbeiten nach Kriterien von Lean Construction Management aus der Auto­mobilbranche. Durch die Digitalisierung der Produktionsprozesse konnte dort die Produktivität enorm gesteigert werden, erläutert Konstantinos Kessoudis, Leiter der BIM.5D-Abteilung bei Strabag. Durch die Anwendung dieser Planungsmethode ließen sich fehlerhafte Planungen, ineffiziente Verfahrensabläufe, unproduktive Arbeitszeiten und mangelhafte Kommunikation erheblich reduzieren. Untersuchungen hätten zudem gezeigt, dass Bauunternehmen, die Lean Construction anwenden, innerhalb kürzester Zeit die Verschwendung von Baumaterialien deutlich verringern konnten und zugleich eine bessere Bauqualität sowie eine Verkürzung der Bauzeit erzielen konnten.

Dass sich die Baubranche in einigen Bereichen mit BIM noch schwertut, liegt nach Ansicht von Peter Steinhagen, Vorsitzender des VDI-Fachbereichs Bautechnik, unter
anderem auch daran, dass die Standardisierung von Produktionsprozessen schwieriger ist als in der stationären Industrie. Hinzu kommt: „Neue Technologien sind für sich noch keine Innovation“, so der Bauingenieur und Mitinitiator des BIM-Clusters Stuttgart, das sich als Netzwerk für Architekten und Ingenieure versteht, die mit BIM arbeiten.
Für die digitalen Methoden sind Regeln erforderlich, damit alle Beteiligten unter Begriffen, Rollen und Methoden das Gleiche verstehen.“ Außerdem würden Standards benötigt, um Datenräume zu organisieren, Modelle zu strukturieren oder für den Austausch, die Verwendung und die Archivierung von Daten