Die unendliche Geschichte



Oper. Die Sanierung des Littmann-Baus in der Landeshauptstadt verschiebt sich immer weiter nach hinten. Während die Politik erneut ein Interim sucht, rücken die Mitarbeiter immer enger zusammen.


Das hätte sich Marc-Oliver Hendriks auch nicht träumen lassen. Anfang des Jahres sah es noch so aus, als wäre ein Interimsstandort für die Sanierungszeit des Stuttgarter Opernhauses endlich gefunden. Doch – wie mehrfach auch in dieser Zeitung berichtet – sollte es anders kommen. Die Politik befand, dass Kosten von 116 Millionen Euro für ein Interim, das nach fünf bis sechs Jahren wieder abgerissen wird, dem Steuerzahlen auch in Anbetracht des Wohnungsmangels in Stuttgart nicht vermittelbar seien.



Der Geschäftsführende Intendant will in die aktuelle politische Diskussion kein weiteres Öl ins Feuer gießen, wohl wissend, dass die Zeit für die Sanierung drängt. Theoretisch kann jeden Tag das Opernhaus von Amts wegen geschlossen werden, weil geltendes Baurecht, der Brandschutz oder die Regelungen des Arbeitsschutzes nur unter Auflagen eingehalten werden können. „Die Sicherheit war und ist für die Besucherinnen und Besucher selbstverständlich zu jeder Zeit gewährleistet“, betont Hendriks.

Von außen präsentiert sich der Littmann-Bau, in dem die Oper und das Ballett seit Jahren viel beachtete Erfolge feiern, wie ein Juwel am Rande des Eckensees in der Landeshauptstadt. Aber auch aus Buntsandstein gemeißelte Denkmäler sind endlich und eine Sanierung der Bausubstanz unumgänglich.

Doch das ist teuer, zumal sich seit der Eröffnung des Littmann-Baus vor fast 100 Jahren die baulichen Mindestanforderungen an eine öffentliche Versammlungsstätte und die Vorschriften zum Arbeitsschutz deutlich verschärft haben. Ganz abgesehen davon, dass die verwendete Bühnentechnik mittlerweile so alt ist, dass es weder Ersatzteile noch Techniker gibt, die sie reparieren könnten. Derzeit profitieren die Württembergischen Staatstheater vom Bestandsschutz, der mit weitreichenden Ausnahmegenehmigungen den Opern- und Ballettbetrieb sicherstellt, erläutert der Geschäftsführende Intendant.

Beim Lokaltermin im Littmann-Bau wird schnell deutlich, was Marc-Oliver Hendriks meint, wenn er von prekären Arbeitsplatzsituationen für die rund 1000 Mitarbeiter spricht, die für den Opern- und Ballettbetrieb notwendig sind. Tubisten, die aus Platzgründen zu zweit in einer zweckentfremdeten Abstellkammer, die auch als Lagerfläche für die Musikinstrumente und als Umkleide dient, üben müssen. Und Blechbläser, die in Fußballmannschaftsstärke nur einen einzigen Raum haben, wo sie sich gleichzeitig einspielen und umkleiden sollen. „So etwas geht nur mit sehr viel Disziplin und Leidenschaft für den Beruf“, sagt der Geschäftsführende Intendant. Tiefer in den Katakomben des Opernhauses spielt sich gerade ein Korrepetitor auf dem Flügel ein. Der Raum ist viel zu klein für dieses Instrument. 105 Dezibel zeigt das Messgerät, als er in die Tasten greift. Das entspricht etwa einem vorbeifahrenden Formel-I-Rennwagen in 30 Meter Entfernung. „Achtung Lärmbereich“ steht immerhin am Eingang zur Rüstmeisterei.

Hier werden pyrotechnische Effekte entwickelt, historische Waffen geschmiedet und Rüstungen gedengelt. Das macht ordentlich Krach, auch ohne, dass die Absaugvorrichtung für den Rauch eingeschaltet ist. „Der Raum war für eine solche Nutzung nie vorgesehen. Letztendlich habe man sich aber mit den Gegebenheiten arrangiert und, so gut es geht, zu optimieren versucht, auch wenn das nach der aktuellen Arbeitsstättenverordnung eher grenzwertig ist“, räumt Marc-Oliver Hendriks ein.

Dann gewährt der Intendant noch einen Blick in den Umkleidebereich der Tänzer des Stuttgarter Balletts. Aus Platzgründen wurde die Decke geteilt, entsprechend stickig muss die Luft sein, wenn sich hier die zu den zehn besten Kompanien auf der Welt zählenden Tänzer auf ihren Auftritt vorbereiten. „Die meisten Schulen und Sportvereine haben heute komfortablere Aufenthaltsmöglichkeiten. Kein Fußballprofi würde solche Bedingungen akzeptieren“, ist sich der Geschäftsführende Intendant sicher.

Der Platzmangel macht auch vor der Verwaltung der Staatstheater nicht halt. Weil Räume für die täglichen Besprechungen fehlen, zwängt man sich in die ohnedies schon viel zu kleinen Büros und tagt im Stehen. Dabei haben nicht einmal alle Büros Tageslicht oder überhaupt ein Fenster. Andere bekommen auch schon mal Besuch von einer Ratte, die neugierig durchs Fenster auf das schaut, was sich so in der Musikbibliothek tut. Ganz zu schweigen von einer Poststelle. Die Korrespondenz des Balletts wird pragmatisch auf den Stufen der Treppe zum Übungssaal sortiert.

Das Geschilderte zeigt das eigentliche Dilemma bei der Suche nach einem Interim für die Oper und das Ballett. Es geht nicht nur um eine Bühne und einen Zuschauerraum, sondern auch um die komplette Infrastruktur, die für den Opern- und Ballettbetrieb notwendig sind. Eines muss den Verantwortlichen schon heute klar sein: Die bau- und arbeitsrechtlichen Standards entwickeln sich weiter. Je länger die Entscheidung also dauert, umso teurer wird es letztendlich.