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Immobilien regional

Wo der Gehsteig hochgeklappt wird

Statistik. Eine Untersuchung geht der Frage nach, warum einige Städte immer schneller wachsen und andere schrumpfen. Das überraschende Ergebnis: gerade junge Menschen suchen Städte mit Atmosphäre.

„Hier wird abends der Gehsteig hochgeklappt“. Wer hat sich nicht schon mal so oder so ähnlich über das Nachtleben einer Stadt lustig gemacht. – Während einige Städte im Land derzeit aus den Nähten zu platzen drohen, dünnt der ländliche Raum immer weiter aus. Landflucht nennen das einige. Doch Professor Dr. Harald Simons vom Regionalwirtschaftlichen Forschungsinstitut Empirica ist das zu ungenau. Zusammen mit Lukas Weiden hat er sich im Auftrag des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen die Wanderungsbewegungen der Menschen in Deutschland genauer angeschaut und kommt dabei zu der Erkenntnis: „Deutschlands Bevölkerung sortiert sich neu.“

Professor Dr. Harald Simons vom Regionalwirtschaftlichen Forschungsinstitut Empirica über Schwarzstätte

Der Professor nennt das Schwarmverhalten. Er versteht darunter, dass insbesondere die jüngere Bevölkerung „wie Vögel aus den meisten Regionen Deutschlands aufsteigen, als Schwarm in vergleichsweise wenige Schwarmstädte einfallen und dort für knappen Wohnraum sorgen“, während sich die Abwanderungsregionen zunehmend entleerten. Natürlich seien schon immer Menschen vom Land in die Stadt gezogen. Die Hauptursache des neuen Schwarmverhaltens interpretiert Harald Simons aber als eine Folge des Weniger. „Junge Menschen sind heute eine Minderheit geworden
– und Minderheiten rotten sich zusammen“, erklärt er. Um das zu messen, hat er ein neues statistisches Maß zur Analyse der Bevölkerungsverschiebung entwickelt. Er nennt es Kohortenwachstumsrate. Verglichen wird dabei zum Beispiel die Anzahl der 20-Jährigen im Jahr 2008 im Vergleich zu den 25-Jährigen fünf Jahre später im gleichen Ort. Sind es mehr, hat der Ort Einwohner des Geburtsjahrgangs 1988 hinzugewonnen und umgekehrt.

Doch was macht eine Stadt zur Schwarmstadt, also so attraktiv, dass selbst hohe Lebenshaltungskosten in Kauf genommen werden? Viele Arbeitsplätze? Hochschulen? Arbeitsplätze gebe es auch in der Fläche und fast jede mittlere oder größere Stadt habe eine Hochschule, relativiert Harald Simons. Er vermutet, dass für die hohe Anziehungskraft einer Schwarmstadt vor allem weiche Standortfaktoren wie das Erscheinungsbild, die Atmosphäre oder der Ruf verantwortlich sein dürften. „Praktisch alle jungen Schwarmstädte stehen für etwas.“ Sei es die weltläufige Gemütlichkeit in München, die Heidelberger Wissenschaft oder die grüne Freiburger Bürgerlichkeit. „Die Leute wollen dort leben, wo etwas los ist, und nehmen dafür auch lange Anfahrtswege zur Arbeit in Kauf.“ Davon profitieren vor allem Städte mit einem bestimmten, positiv besetzten Ruf. Sie werden wahrgenommen, unspezifische Städte nicht, so seine Folgerung. Das bleibt nicht ohne Folgen für den Wohnungsmarkt. Weil das Angebot nicht mehr die große Nachfrage befriedigen kann, steigen die Preise in den Schwarmstätten. Stuttgart, Heidelberg oder Freiburg sind solche Schwarmstädte. Doch ob sie das immer bleiben, ist auch davon abhängig, wie groß das Hinterland für die Zuwanderung ist. „Städte, deren Binnenwanderung sich aus vielen und sehr vielen Kreisen speist, sind grundsätzlich abgesicherter gegenüber deutlichen Rückgängen der Binnenzuwanderung“, erläutert der Professor. Eine Garantie gebe es aber nicht.

Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass die zunehmende demografische Spaltung Deutschlands durch das Schwarmverhalten eine Reihe von erheblichen Problemen produzieren wird, wenn es nicht gelingt, das Schwarmverhalten abzuschwächen. Doch das sei nicht einfach, da der Umzug in eine Schwarmstadt eine höchst individuelle Entscheidung sei.

„Trotzdem halten wir es aber für gerechtfertigt, durch öffentliches Handeln zu versuchen, diese individuellen Entscheidungen zu beeinflussen und nicht noch zusätzlich zu fördern wie durch die Mietpreisbremse“, so Harald Simons. So habe die Mietpreisbremse auch eine Wirkung auf die Wohnungsnachfrage. Die künstlich erniedrigten Preise erhöhten die Nachfrage nach Wohnungen zusätzlich, während die Regionen weiter schrumpfen. Aufgabe des Bundes und der Länder müsse es deshalb vor allem sein, die derzeit schrumpfenden Regionen zu stärken und nicht die ganze politische Aufmerksamkeit nur auf die Schwarmstädte zu richten, so die Studie. Harald Simons empfiehlt, in den „ausblutenden“ Regionen „lebendige“ Zentren zu erhalten, die der gewachsenen Bedeutung der Wohnortattraktivität gerecht werden. Das gehe aber nur, wenn Fördermittel und öffentliche wie private Investitionen auf diese Gebiete konzentriert werden. Das werde aber angesichts des beschleunigten Einwohnerrückgangs nicht überall möglich sein. „Hier ist die Politik gefordert, die entsprechenden Zentren zu bestimmen“, sagt Simons.

Den schrumpfenden Regionen empfiehlt der Professor, durch eine Konzentration verschiedenster Nutzungen auf kleinem Raum, insbesondere des Einzelhandels, der Gastronomie sowie der privaten und öffentlichen Einrichtungen, durch Vielfalt und Lebendigkeit ein Gefühl der Dichte entstehen zu lassen. Derzeit sei die Entwicklung eher umgekehrt.

CO. Stuttgarter Zeitung 2016