Bürokratie. Mehr Datenschutz für den Bürger – so ist die seit gestern geltende Datenschutz-Grundverordnung gedacht. Doch nicht nur in der immobilienwirtschaftlichen Praxis löst sie gewaltigen Unmut aus.
Ein bisschen kommt man sich seit gestern wie in Reinhard Meys Lied „Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars, zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars ...“ vor. Am Freitag ist die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr...“, kurz „Datenschutz-Grundverordnung DSGVO“, nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren in Kraft getreten.
Sie soll den Datenschutz in der Europäischen Union vereinheitlichen und ins Internetzeitalter befördern. Betroffen sind alle Unternehmen, die personenbezogene Daten verarbeiten. Das hat auch weitreichende Auswirkungen auf die Immobilien- und Wohnungswirtschaft. Jetzt kann der Gesetzgeber bei Zuwiderhandlungen empfindliche Geldbußen verhängen und Abmahnvereine haben eine neue Einnahmequelle.
„Das ist leider ein schauriges Thema“, bringt es Professor Stephan Kippes vom ivd Immobilienverband Deutschland auf den Punkt Sein Verband, zu dessen Mitgliedern Immobilienberater, Makler, Verwalter und Sachverständige gehören, beschäftigt sich seit knapp einem Jahr mit der DSGVO Stephan Kippes lässt wenig Gutes an der Durchführung der Verordnung: „Das Thema ist total überzogen Die Makler fragen bei uns an, ob sie künftig überhaupt noch Geburtstags- oder Weihnachtskarten verschicken dürfen, ohne gegen die Verordnung zu verstoßen und ein saftiges Bußgeld oder eine Abmahnung zu riskieren“ Entsprechend hoch sei derzeit auch die Nachfrage nach Seminaren zu diesem Thema
Auch beim Mieterverein ist man auf die DSGVO nicht gut zu sprechen, wenngleich „der sorgfältige Umgang mit den Daten der Mitglieder“ schon bislang ein wichtiges Anliegen gewesen sei, betont Rolf Gaßmann, Vorsitzender des Mieterverein Stuttgart und Umgebung Er betont aber auch, dass sich die neue Verordnung schon jetzt als bürokratisches Monster erweist So müssten sämtliche Formulare und der Internetauftritt des Mietervereins überprüft und überarbeitet werden, Verfahrensverzeichnisse und Datenschutzberichte erstellt werden „Wir gehen von einem monatlichen Mehraufwand von 15 bis 20 Stunden aus“, rechnet Gaßmann vor Sogar ein externer Datenschutzbeauftragter musste bestellt werden Der erhebliche Organisationsaufwand und die Zusatzkosten seien durch die DSGVO von kleinen, ehrenamtlich geführten Vereinen kaum zu stemmen, so sein Fazit
Der Sillenbucher Immobilienmakler Wolfgang Link hat sich frühzeitig auf die DSGVO eingestellt und sogar einen externen Datenschutzbeauftragten Die neue Verordnung führt allerdings auch bei ihm nur zu Kopfschütteln „Kein Mensch versteht, wie man sich so ein bürokratisches Ungetüm fern jeglicher Praxis ausdenken konnte“, ärgert sich der Makler und hat auch gleich ein Beispiel parat Künftig muss jeder seiner Mitarbeiter personenbezogene Daten, also zum Beispiel Telefonnummern mit zugeordneten Namen oder Adressen, schreddern, bevor er sie in den Papierkorb wirft Die Putzfrau könnte ja die Daten sehen, so die dahinter stehende Idee
„Die DSGVO lässt vor allem kleinere Unternehmen, die keine große Rechtsabteilung haben und sich wehren können, im Regen stehen“, klagt der Makler So ist vollkommen unklar, wie Makler zum Beispiel künftig rechtssicher Anfragen von potenziellen Kunden abarbeiten Denn um Anfragen zu bearbeiten, müssten eigentlich persönliche Daten erfasst werden Doch genau dafür braucht der Makler vorher eine schriftliche Einverständniserklärung Doch welcher Kunde, der nur mal schnell ein Exposé zugeschickt bekommen will, hat da noch die Geduld, fragen sich derzeit viele Makler
Beim vbw Verband baden-württembergischer Wohnungsunternehmen beschäftigt man sich seit dem Herbst 2017 mit den möglichen Auswirkungen der DSGVO Da der Verband aber keine Neukundenakquise betreibt und Informationen des Verbandes fast ausschließlich an seine Mitgliedsunternehmen gerichtet sind, hielten sich die Auswirkungen in der täglichen Arbeit in Grenzen, so vbw-Verbandsdirektorin Sigrid Feßler
Bei Dr Lübke & Kelber wurden Datenschutz und Pflege schon immer großgeschrieben, betont Stephan Scheibe von der Stuttgarter Niederlassung Der Teamleiter Wohnimmobilien hofft, dass die Privatkunden die DSGVO auch verstehen „Die Verbraucherfreundlichkeit stelle ich aber klar infrage“, so der Makler Ingo Dalcolmo
Haftungsfalle für Vermieter Die gestern in Kraft getretene Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt nicht nur für große Wohnungsbauunternehmen, sondern auch für private Vermieter. „Das ist unverhältnismäßig und vollkommen überzogen“, ärgert sich Ulrich Wecker. Der Geschäftsführer von Haus & Grund Stuttgart plädiert dafür, private Vermieter von der DSGVO auszunehmen. Doch bis jetzt müssen sich auch private Vermieter an die Verordnung halten, da sie personenbezogene Daten von Mietern und Mietinteressierten verarbeiten.
Das Problem: Viele Vermieter haben Dienstleistungen wie zum Beispiel das Ablesen der Heizung an externe Dienstleister ausgelagert. Laut DSGVO ist auch der private Vermieter verpflichtet sicherzustellen, dass der beauftragte Dienstleister die Regeln der Datenschutz-Grundverordnung einhält. Nach der DSGVO gehen auch private Vermieter bei Verstößen gegen die Verordnung in Haftung, so Haus & Grund.
Wichtig: Daten, die der Vermieter nicht mehr benötigt, müssen „ohne unangemessene Verzögerung“ gelöscht werden. Das betrifft auch Mietverhältnisse, die nicht zustande gekommen oder bereits beendet wurden. Personenbezogene Daten von nicht berücksichtigten Interessenten benötigt der Vermieter nicht, diese sind deshalb unverzüglich zu löschen. Vertrauliche Papiere sind unkenntlich zu machen und zu entsorgen.
Der Rat des Experten: Erst einmal abwarten. Vieles wird derzeit heißer gekocht, als es gegessen wird. Vermieter, die jetzt Post von dubiosen Abmahnvereinen bekommen, sollten sich sofort an einen Anwalt oder an Haus & Grund wenden.
