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Immobilien regional

"Wir schaffen es nur gemeinsam"


Interview. Stuttgarts neuer Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper muss dicke Bretter bohren, will er die Wohnungsnot in der Landeshauptstadt in den Griff bekommen. Im Interview mit Ingo Dalcolmo gibt er erste Einblicke in seine Strategie.

Herr Oberbürgermeister, zunächst die wichtigste Frage. Sind Sie wieder
ein Bürger der Landeshauptstadt oder pendeln Sie noch?


Ich wohne seit einigen Wochen wieder in unserer wunderschönen Stadt.

Wohnen sollte sich jeder leisten können, hat vor einigen Jahren die
schwäbische Volksschauspielerein Trudel Wulle gesagt. Als Oberbürgermeister
möchten Sie jetzt ein breites Bündnis für Thema Wohnen schmieden. In der
Vergangenheit gab es dazu einen runden Tisch, der sich aber als Papiertiger
erwies. Was wollen Sie besser machen?


Das Wichtigste am Bündnis für Wohnen ist, dass Themen konkret erarbeitet
und Ergebnisse geliefert werden. Wir haben uns in ersten Gesprächsrunden
mit den unterschiedlichen Akteuren ausgetauscht, um die Arbeit des
Bündnisses für Wohnen zu optimieren. Wir sind zuversichtlich, dass dies
gelingen wird.

Ihr Vorgänger sagte in einem Interview einmal, eine Stadt könne nie
genug Wohnungen bauen. Es werden immer zu wenige sein. Was sagen Sie dazu?


Wir haben uns dazu entschieden, den spezifischen Bedarf für Stuttgart genau
zu analysieren, Über die Bevölkerungsentwicklung hinweg spielen überdies
die Entwicklung der Wirtschaft, die Auswirkungen durch Corona und weitere
Aspekte eine enorme Rolle in der Frage des Bedarfs. Am Ende sollte ein
Bedarfskorridor aufgezeigt werden. Aber allen muss klar sein: Es handelt
sich immer um eine Prognose!

In Ihrem 10-Punkte-Plan setzen Sie unter anderem auch auf die
Nachverdichtung in der Stadt, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Doch
die meisten Grundstücke sind gar nicht im Besitz der Stadt. Wie wollen Sie
die privaten Immobilienbesitzer motivieren, ihre Grundstücke zu
bebauen?  ...und womöglich auch noch mit preisgünstigen Wohnungen
?

Eins ist klar: Wir werden nur dann mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, wenn
alle an einem Strang ziehen. Baugenossenschaften, unsere städtische SWSG,
in geringerem Umfang auch private Wohnbauunternehmen, aber auch große
Unternehmen wie eine Vonovia haben in Stuttgart einen nicht unerheblichen
Bestand an Wohnungen. Hier schlummert oft das Potenzial für eine
Nachverdichtung, die zusätzlichen Wohnraum schaffen kann. Die Stadt
unterstützt hier nach allen Kräften, entspricht doch die Nachverdichtung
dem Ziel der Innenentwicklung.

Ein gutes Beispiel ist die SWSG im Hallschlag. Hier entstehen seit
Jahrzenten immer mehr Wohnungen in einem städtebaulichen Umfeld, das an
Qualität gewinnt.

Sehen Sie das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell eher als hilfreich
oder eher als hinderlich an, neuen, preisgünstigen Wohnraum in Stuttgart zu
schaffen? Wo müsste SIM nachjustiert werden oder könnte die Stadt aufgrund
der bisherigen Erfahrungen darauf auch ganz verzichten?


Die Mehrheit des Gemeinderats hat dieses Instrument als „hilfreich“,
eingestuft. Da in Folge der allgemein angespannten Wohnungsmarktsituation
in Stuttgart insbesondere ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum besteht, ist
jede einzelne Wohnung mit begrenzter Miethöhe wichtig für die Versorgung
unterer und mittlerer Einkommensschichten. Vor diesem Hintergrund kann SIM
einen Beitrag leisten, wichtig bleibt jedoch weiterhin die Schaffung von
neuem Wohnraum.

In der Politik wird seit Jahren darüber diskutiert, wie effektiv
staatliche Vorgaben bei der Umwandlung von Wohnraum oder der Gestaltung von
Mieten sein können. Der Berliner Senat ist jetzt erst höchstrichterlich für
seinen Alleingang ab gewatscht worden, bestimmte Mieten einzufrieren. Wo
sehen Sie die Stadt in der Pflicht, regulatorisch einzugreifen, um
preiswerten Wohnraum zu schaffen?


Die Stadt Stuttgart greift vor allem über ihre Förderprogramme
regulatorisch ein, indem sie Anreize mit gewissen Kriterien verknüpft. Im
Bereich der Sozialmietwohnungen sowie bei Mietwohnungen für mittlere
Einkommensbezieher werden Miethöhen festgelegt, die an eine Bindung
geknüpft sind.

Das Stuttgarter Eigentumsprogramms in Form von einem Baukostenzuschuss kann
nur von Personen in Anspruch genommen werden, die ein definiertes Einkommen
nicht überschreiten. Dies gilt, in unterschiedlicher Ausformulierung,
sowohl für den Neubau aber auch für Bestandsimmobilien.
Diese Vorgaben sind transparent und nachvollziehbar und für jeden gleich
anzuwenden. Wir haben in diesem Punkt durchaus positive Rückmeldungen aus
der Wohnbauwirtschaft erhalten.

Als Nadelöhr bei der Schaffung neuer Wohnungen werden immer wieder die
langen Genehmigungszeiten beim Baurechtsamt genannt.  Welche Ideen haben
Sie, den Digitalisierungsprozess zu beschleunigen, die fehlenden Stellen
schnellstmöglich auch wieder mit qualifizierten Bewerbern zu besetzen und
das Baurechtsamt insgesamt schlagkräftiger zu machen?


Das Baurechtsamt bereitet derzeit die Einführung des digitalen Bauantrags
zum 1. Januar 2022 vor. Ziel ist, dass nicht nur das digitale Einreichen
von Bauanträgen möglich sein wird, sondern auch die rein digitale
Bearbeitung von in Papierform eingereichten Bauanträgen. Schon jetzt
arbeitet das Amt mit einem digitalen Baulastenverzeichnis und digitalisiert
das Archiv der Bauakten. Mit dem digitalen Bauantrag können dann auch die
letzten verbliebenen analogen Verfahrensschritte auf eine elektronische
Arbeitsweise umgestellt und so die Baugenehmigungsverfahren beschleunigt
werden. Auch für die Beteiligung der Nachbarn wird das Angebot einer
digitalen Plattform geprüft, die den Bürgern den Gang aufs Amt erspart.

Die Besetzung freier Stellen mit qualifizierten Bewerbern ist eine
gesamtstädtische Herausforderung. Die Stadtverwaltung bietet im
Baurechtsamt wie in vielen anderen Ämtern interessante und
abwechslungsreiche Aufgaben. Ich bin im Austausch mit den
Fachbürgermeistern, wie das Amt für Bewerberinnen und Bewerber attraktiver
gemacht werden kann.

Als ein weiter Grund für die langen Verfahren in Stuttgart wird immer
wieder angeführt, dass viele Bebauungspläne aus dem letzten Jahrhundert
ungültig sind. Städte wie Ludwigsburg haben da schon vor Jahren Tabularasa
gemacht und für Rechtssicherheit gesorgt. Sehen Sie hier auch in Stuttgart
irgendwann einmal Licht am Ende des Tunnels?


Eine pauschale Aufhebung der älteren Bebauungspläne könnte im Stuttgarter
Fall alles andere als zweckmäßig sein. Schließlich sichern diese
Bebauungspläne in vielen Fällen nicht nur eine bestehende Bebauung, sondern
gewährleisten gerade in den sensiblen Hanglagen die aus stadtklimatischen
Gesichtspunkten wichtigen Freiräume. Selbstverständlich ist die
Stadtverwaltung bestrebt, in den Bereichen, die sich für die Umsetzung
städtebaulicher Ziele, insbesondere für die Schaffung von Wohnraum, eignen,
neue Bebauungspläne aufzustellen. Man darf aber nicht außer Acht lassen,
dass dies in der Landeshauptstadt mit ihren lagespezifischen Besonderheiten
und Herausforderungen deutlich höhere Anforderungen stellt, als dies in den
Umlandgemeinden in der Region der Fall ist.

In Stuttgart wird an vielen Ecken derzeit gebaut. Doch die derzeitige
Neubautätigkeit wird nach Schätzung von unterschiedlichen Fachleuten bei
weitem nicht ausreichen, den Bedarf an preisgünstigen Wohnungen zu decken.
Wo sehen Sie hier die Städtische Wohnbaugesellschaft? ... und die
zahlreichen Wohnbaugenossenschaften?


Die SWSG hat vor dem Hintergrund der Wohnraumknappheit ihre ohnehin schon
hohen Neubauziele noch einmal deutlich nach oben angepasst. Zwischen 2020
und 2025 wird die SWSG voraussichtlich 2500 neue Wohnungen fertigstellen,
das entspricht einer Neubauquote von über 2 % pro Jahr des
Wohnungsbestands. Mit dieser Neubauquote liegt die Gesellschaft im
Vergleich zu anderen großen deutschen kommunalen Wohnungsbauunternehmen auf
einem sehr hohen Niveau. In Stuttgart selbst ist die SWSG aktuell mit rund
300.000 Quadratmetern Projektentwicklungsvolumen der Akteur mit dem
höchsten Projektvolumen.

Wäre die SWSG überhaupt in der Lage, kurzfristig ihr Volumen deutlich
aufzustocke
n?

Aufgrund der Grundstücksknappheit im Stadtgebiet sind (über die von der
SWSG bereits geplanten Projektentwicklungen hinaus) nur wenige Grundstücke
verfügbar. Daher wäre eine deutliche Erhöhung über die gegenwärtige Planung
mit den 2500 neuen Wohnungen bis 2025 hinaus zumindest nicht ohne einige
Hürden möglich.

2027 steht die Internationale Bauausstellung an. Mit welchen
Projekten/Ideen will die Landeshauptstadt glänzen. Im Gespräch war auch mal
die Bebauung des ehemaligen Eiermann-Areals? Überhaupt, was ist da der
aktuelle Stand? Gibt es schon eine Baugenehmigung?


Die Landeshauptstadt hat bei der IBA’27 GmbH elf Potenziale auf Gemarkung
Stuttgart ins Spiel gebracht, die von der IBA-Gesellschaft im März 2019 ins
IBA’27-Netz aufgenommen wurden. Mit unter den elf war die
Quartiersentwicklung Eiermann-Areal.

Im Juli 2020 wurden vom IBA’27-Aufsichtsrat vier von den elf eingereichten
Potenzialen auf die nächsthöhere Ebene gehoben und als offizielle
"IBA’27-Projekte" gekürt. Zwei Projekte sind eigene Projekte der Stadt
Stuttgart: das Quartier C1 „Wagenhallen“ und die
Leonhardsvorstadt/Züblinareal, in Mitte. Die beiden anderen offiziellen
IBA’27-Projekte sind „der neue Stöckach“ auf dem EnBW-Areal in der
Hack-/Stöckachstraße und „das integrierte Quartier Böckinger Straße“ in
Zuffenhausen, ein Projekt der SWSG.

Ob weitere Projekte zu offiziellen IBA’27-Projekten werden, obliegt einer
Entscheidung des IBA’27-Aufsichtsrats auf Empfehlung des
IBA'27-Kuratoriums.

Innenentwicklung vor Außenentwicklung ist seit Jahren die Devise der
Stadt. Sind solche Dogmas in einer Zeit, wo preiswerter Wohnraum Mangelware
ist, überhaupt noch haltbar?


Die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie wird als die Herausforderung
unserer Zeit angesehen. Wir können allerdings nicht alle anderen
Herausforderungen, wie etwa den Bau von Wohnungen, ad acta legen. Wir
befinden uns also in genau diesem Spannungsverhältnis von notwendiger
Entwicklung und Klimaschutz. Die Versiegelung von Grund und Boden ist beim
Bauen zwangsläufig nicht zu vermeiden, und soll zumindest in den
Außenanlagen so gut es geht vermieden werden. Vorteil von
Innenbereichsflächen besteht darin, dass im Regelfall bereits Gebäude und
versiegelte Flächen vorhanden sind. Bei sehr guten Planungen können sogar
beim Neubau eine bessere Bilanz zwischen versiegelten und nicht
versiegelten Flächen erreicht werden.